Tasting Notes: zwei ungewöhnliche Ben Nevis, 18 und 49 Jahre alt

Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen - oder hat mehr vom Leben. Wir alle kennen diese Sprüche sicher zu genüge, und halten es je nach Temperament mehr mit der einen Seite oder mehr mit der anderen. Dabei ist Suchen eine sehr schöne Sache, vor allem, wenn man dabei längst vergessene Schätze wieder findet. Vor ein paar Tagen hatte ich wieder einmal Lust, Ordnung in meine Sample-Kiste zu bekommen. Dabei viel mir ein Sample in die Hände, das mir vor einiger Zeit Alex Schlögl geschenkt hatte, und das ich mir damals für einen besonderen Moment aufgehoben hatte: einen Ben Nevis von 1966. 


Dass ich einmal fünf Monate lang im Winter tagtäglich bei geöffnetem Fenster, mit Winterjacke und mit Mundschutz arbeiten würde, hätte ich mir damals bei meinem Besuch bei Alex in Berlin nicht träumen lassen. Nach Berlin zu fahren war lange Zeit für mich eine Selbstverständlichkeit. Inzwischen kommt mir das wie ein kleiner Luxus vor.  Zweimal hatte ich im vergangenen Jahr eine Fahrt nach Berlin geplant, und beide Male musste ich sie aufgrund des Lock-Downs absagen. Und wer weiß, was die Zukunft noch alles an Überraschungen bringen wird. 

Mein Weltbild ist heute von sehr viel mehr Unsicherheiten geprägt als es das 2015 noch gewesen war, und so geht es sicherlich vielen von euch. Und deshalb habe ich spontan beschlossen, nicht länger darauf zu warten, dass ein besonderer Moment zu mir kommen möge. Stattdessen habe ich den Spieß umgekehrt: heute ist ein besonderer Moment, weil ich das Sample von Alex Schlögl heute öffnen werde. 

Es handelt sich dabei um einen Ben Nevis, der 2015 vom "Whiskybroker" Martin Armstrong abgefüllt und 1966 destilliert worden war. 49 Jahre sind eine verdammt lange Zeit, und die schottischen Engel konnten sich an diesem Fass lange laben. Oder vielmehr an diesen Fässern, denn was nach 49 Jahren noch im Fass übrig blieb, war relativ wenig, und so wurden hier 6 Hogsheads gemischt und abgefüllt. Mit 29.5% war der Alkoholgehalt leider relativ niedrig, und die Abfüllung durfte folglich auch nicht "Whisky" genannt werden. 

Ist dieser uralte Ben Nevis überhaupt noch genießbar?

Beim Aufräumen ist mir dann noch ein weiteres Sample in die Hände gefallen, ebenfalls von Ben Nevis, ebenfalls aus einem Bourbon Hogshead  und ebenfalls 2015 abgefüllt, jedoch erst 1996 destilliert.  Da passt es doch ganz gut, die beiden Abfüllungen miteinander zu vergleichen. 

Hier meine Tasting Notes:


1) Ben Nevis Spirit, Whiskybroker, destilliert 15.03. 1966, abgefüllt 10.04.2015, 49 Jahre, Vatting of six Hogsheads, 29.5%, 524 Flaschen à 500 ml. 

Optik: gold-gelb, mit einer hohen Viskosität, fast schon dickflüssig und ölig

Aroma: zunächst sehr verschlossen, aber schon im Antritt mit einer verheißungsvollen süßen Note von Puderzucker und Rapshonig. Dann kommen Blütenduft, Vanillestange, Anispastillen, Malzbonbons und Fencheltee. Unglaublich viel Fencheltee. 

Geschmack: schade, da fehlen dann doch ein paar Prozent Alkohol auf der Zunge. Doch auch die Aromen sind nur schwach ausgeprägt. Es fehlt nicht nur die Kraft, sondern auch der Körper.  Auf der Zunge wirkt er eher flach. Dennoch ist er nicht unangenehm im Geschmack, er zeigt eine zarte Nussigkeit von ungerösteten Erdnüssen. 

Nachklang: mild und eher kurz

Gesamteindruck: ein unglaublich komplexer Duft, und ein wunderschöner Ben Nevis zum Riechen - aber auf der Zunge geht er ein. Ich glaube nicht, dass es nur am fehlenden Alkohol liegt. Ich vermute, dass dieses Fass nur noch wenig aktiv war und sich nur sehr langsam entwickelt hat, weshalb man diese Fässer so viele Jahre liegen ließ. Leider hat sich die gewünschte geschmackliche Entwicklung nicht wirklich  eingestellt, und am Ende ist der Inhalt dann auch noch drastisch unter 40% gesackt. Dass die geschmackliche Entwicklung mitunter hinter der Entwicklung der Duftnoten zurück bleibt, habe ich schon einige Male erlebt. Dennoch dieser Whisky ein besonderes Erlebnis. 49 Jahre sind eine Nummer, und ich habe noch nie so viel Fencheltee in einem Whisky gefunden.


2) Ben Nevis, Whic, destilliert Juni 1996, abgefüllt April 2015, 18 Jahre, 53.7%, Hogshead, 126 Flaschen

Optik: helles gold-gelb

Aroma: auch dieser Ben Nevis ist zunächst seeeehr verschlossen. Das einzige, was er zu Beginn frei gibt, sind Petrol-Noten. Nun gut, Ben Nevis ist nicht unbedingt als Main-Stream Whisky bekannt, und diese Abfüllung unterstreicht wunderbar das Image, das Ben Nevis hat. Nach einer Weile wird er zugänglicher, es zeigen sich Aromen von Karamell, Vanille, Heu,  Lindenblüten und saure Drops. 

Geschmack: mittelstark, auch diesmal mit einer leichten Petrol-Note. Angenehm würzig, eher auf der grasigen Seite. 

Nachklang: mittellang bis kurz.

Gesamteindruck: ein ordentlicher Ben Nevis, der zunächt sehr verschlossen ist, aber durchaus gefällt, wenn er erst mal etwas aufgegangen ist.  Nicht unbedingt eine Wuchtbrumme, aber trotz der leichten Petrol-Note gut trinkbar.

Fazit:

Beide Abfüllungen haben ihre Stärken - aber auch ihre Schwächen. Während sich der Ben Nevis von Whic als ein sehr subtiles, aber süffiges Kerlchen darstellt, beeindruckt der Ben Nevis vom Whiskybroker durch seine Viskosität und seinen Duft. 

Beide Abfüllungen führen mir jedoch wieder einmal vor Augen, warum ich 2015 als ein schwieriges Jahr für unabhängige Abfüllungen empfunden hatte. Es waren viel zu viele mittelprächtige Bourbon-Fässer unterwegs, die ordentlich waren, aber keine Jubelstürme auslösten. Und nach dem dritten oder vierten durchschnittlichen Bourbon-Fass wird es dann schnell langweilig. Die grandiosen Kracher, die man noch wenige Jahre zuvor problemlos finden konnte, waren fast über Nacht plötzlich verschwunden. Aber man konnte auch solch ungewöhnliche Abfüllungen wie diese beiden Ben Nevis finden.

Seither hat sich einiges getan. Die Fülle an unterschiedlichen Fass-Finishes, die wir heute haben und die einen zusätzlichen Kick bringen, gab es 2015 in dem Maße nicht. Man mag ideologisch geteilter Meinung über Sinn oder Unsinn von Fass-Finishes sein, aber sie haben zumindest den Whisky wieder spannend und abwechslungsreich gemacht. Auch die Kracher gibt es wieder - allerdings zu Preisen, die einem manchmal Tränen in die Augen treiben. 

Und noch etwas ist mir wieder bewußt geworden: Whisky kann ein wunderbares Fenster in die Vergangenheit sein. 

Einen ganz herzlichen Dank an Alex Schlögl und Arne von Whic für diesen ganz besonderen Ben-Nevis-Moment. 

 

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