Interview der Woche: Mark Reynier über Waterford, Terroir, malolaktische Fermentation und warum ein Fass-Finish so reizvoll ist wie Lippenstift an einem Schwein

Mark Reynier polarisiert und seine Ideen sind oft provokant. Sein Konzept des Terroirs, das bei Bruichladdich begann und bei Waterford fortgesetzt wurde, hat viele Wellen geschlagen und spaltet die Lager. Für "WhiskyundFrauen" spricht er über seine neue Brennerei, Terroir, Transparenz und warum Fass-Finishes zum neuen Paxarette geworden sind.


Mark Reynier muss man eigentlich nicht mehr vorstellen. Der ehemalige Teilhaber der schottischen Bruichladdich Distillery, Mitbegründer der Firma Murray McDavid und Gründer der irischen Waterford Distillery hat eine ebenso lange wie steile Karriere hinter sich und in der Whisky-Szene gibt es wohl niemanden, der ihn nicht kennt.

Mark Reynier hat jüngst mit den ersten Abfüllungen seiner neuen Waterford Distillery einige Wellen geschlagen. Im Gegensatz zu den großen Unternehmen verwendet die Waterford Distillery ausschließlich irische Gerste, und die Ernten jeder Farm werden separat geerntet und destilliert. Es ist Reyniers Überzeugung, dass Terroir wichtig ist. Schließlich soll Irischer Whiskey auch nach Irland schmecken.

Sein Handwerk gelernt hat Reynier in einem anderen Bereich: sein Vater war Besitzer der Wein-Import-Firma J.B. Reynier Wines & Spirits, und Reynier verbrachte die ersten Jahre seines Berufslebens damit, Weine aus Bordeaux und dem Burgund abzufüllen, zu etikettieren und zu verkaufen. Und mehr noch: Reynier hat auch Wein produziert, er war Besitzer eines Chablis Grand Cru Weinguts in Vaudesier.

Vielleicht ist das der Grund, warum ihm seit Jahren der Begriff des Terroir so sehr am Herzen liegt. In Frankreich gehört das Terroir seit über hundert Jahren fest zum Repertoire der Weinbauern, um Weingüter und Weinlagen zu klassifizieren. Denn beim Wein ebenso wie beim Cognac ist es nicht egal, wo die Traube herkommt.

In unserem Interview spricht er über seine Waterford Distillery, warum er das Konzept von Transparenz und Terroir für wichtig hält und warum die modernen Fass-Finishes immer häufiger so reizvoll sind wie Lippenstift an einem Schwein. 


MM: Die ersten Terroir-basierten Abfüllungen der Waterford Distillery haben einige Wellen geschlagen. Warum ist Terroir deiner Meinung nach ein Konzept, das die Whiskyindustrie oder der Verbraucher braucht?

Mark: Ich denke nicht, dass es darum geht, ob wir das „brauchen“.  Die Industrie braucht es nicht und ist aktiv dagegen, und der Verbraucher braucht es auch nicht wirklich. Doch die Reaktionen auf Waterford und was man dort bald sehen wird zeigen uns eindeutig, dass die Verbraucher es wollen. Die Einführung von Waterford in verschiedenen Märkten deutet darauf hin, dass es einen Durst nach besserem Verständnis gibt, da wir in jedem Markt innerhalb weniger Stunden nach Veröffentlichung ausverkauft waren und dringend Folge-Abfüllungen vorziehen mussten. Diese Faszination überraschte sicherlich auch die Händler.

Ich bin der Meinung, dass der moderne, informierte Verbraucher erwartet, mehr darüber zu erfahren, was er isst und trinkt. Die Menschen wollen die Philosophie hinter der Marke verstehen, aber vor allem wollen sie mehr als nur vereinfachte, unaufrichtige, den Life-Style bestätigende Propaganda. Es ist ein Schlag gegen die Marketing-Botschaften der großen Konzerne, die den informierten Verbraucher zum Narren halten. Was wir nicht vergessen dürfen - der Großteil der Ausgaben für die großen Whisky-Marken entfällt auf Marketing - manche sagen sogar 90% - der Rest entfällt auf die Produktion. Bei Waterford drehen wir das auf den Kopf und konzentrieren uns ganz auf die Produktion - das ist unser Marketing.

Whisky wird aus nur  drei Rohstoffen hergestellt: Gerste, Hefe und Wasser. Brennereien haben das Wasser mit Disneyland-Begriffen romantisiert, die Hefe standardisiert, scheinen aber eine kollektive Lobotomie gehabt zu haben, wenn es um die Hauptquelle all dieses Whisky-Geschmacks geht, was Single Malt tatsächlich zum komplexesten Destillat der Welt macht: die Gerste. Natürlich gibt es einige Leute - normalerweise solche, die mit einer geistigen Diät der Industriepropaganda großgezogen wurden - für die unsere Aktivitäten eine unangenehme Entwicklung darstellen; solche Leute bevorzugen den Status Quo, was sie wissen, gibt ihren Sicherheit, und sie werden uns nicht dafür danken, dass wir die Agenda vorangebracht haben. Damit rechne ich.

Waterford ist schamlos gersten- und terroirgetrieben. Das heißt, wir konzentrieren uns auf die Gerste und bringen sie durch die Verwendung von ausschließlich lokal angebauter Gerste dorthin zurück, wo sie früher war. Indem wir jede Farm auf dem Weg vom Feld zur Flasche voneinander trennen, können wir die Auswirkungen des Terroirs erkunden und entdecken, während wir daran arbeiten. Es ist faszinierend, was wir entdecken, und wir freuen uns nur zu sehr, unsere Erkenntnisse mit jenen zu teilen, die neugierig und unvoreingenommen sind, die Fragen stellen und mehr wissen wollen.

Ich war in den letzten 20 Jahren seit den Anfängen von Bruichladdich daran interessiert, die Türen zu öffnen und mehr Licht auf die Herstellung von Whisky zu werfen. Damals war es fast unmöglich, eine Brennerei zu besuchen – bei den meisten war der Zutritt verboten. Das ist heute nicht mehr so.

Wir haben die Verbraucher seither aufgeklärt und unser Verständnis geteilt, so dass es keine Überraschung ist, dass es einen Hunger gibt, mehr zu lernen, und die Wahrheit zu suchen. Wenn du  ein ernsthafter Whisky-Fan bist, wo geht es als nächstes hin? Wenn du mit Wein aufgewachsen bist, wo liegt dann die Raffinesse des Gaumens, die Vielfalt, die Faszination? Für mich geht es bei Whisky immer darum, zu teilen, zu debattieren, zu diskutieren und zu genießen. Es ist eine sehr freundliche, gesellige Erfahrung. Was kann die Debatte nach einem "Finish" hier, einem "Finish" dort denn noch anregen?

Nach einer dreijährigen internationalen Studie zwischen Waterford Distillery, Cork University, Teasgasc (Landwirtschaftsministerium), Minch Malt, Dr. Maria Kyraleou, Dr. Dustin Herb, Dr. Harry Rifkind und Dr. Kieran Kilcawley soll im Herbst dieses Jahres ein Artikel über Terroir und seine Auswirkungen auf Whisky veröffentlicht werden. Das sollte die Fragen viele Kritiker ein für alle Mal beantworten.



MM: Das Terroir-Konzept ist sehr eng mit dem Begriff der Transparenz verknüpft. Braucht die irische Whiskyindustrie mehr Transparenz?

Mark: Das Konzept des Terroirs haben unsere Vorfahren vom Rheingau bis zur Rhone, von Baden bis Burgund leicht verstanden. Die Weinberge basierten auf Terroir-Beobachtungen aus dem Mittelalter. Dieses Verständnis nennen Gärtner Gartenarbeit und Landwirte Landwirtschaft. Es ist die 3D-Wechselwirkung des Landes (Topographie, Höhe, Ausrichtung), des Bodens (Entwässerung, Sonneneinstrahlung, Grundgestein, Erosion und Sedimentation), des Mikroklimas (Regen, Exposition, Wind, Verdunstung, Photosynthese, Verdunstungstranspiration usw.) mit dem Wachstum der Pflanze, auf die diese Elemente wirken. Die Frucht dieser Pflanze, ob Traube, Getreide, oder Blüte, wird direkt von dieser komplexen Wechselwirkung beeinflusst.

Terroir handelt nicht, wie manche Leute uns weismachen wollen, von Brennereien, Destillationen, Menschen, Landkreisen, Regionen. Es geht eher um Pflanzen und die Einflüsse darauf, wo sie wachsen - in diesem Fall um Gerste und ihr Getreide – und zwar weniger auf einer Makro- als vielmehr auf einer Mikroskala.

Das Problem ist, dass es keine direkte englische Übersetzung des Begriffs Terroirs gibt, daher kommt das Misstrauen, das manche Leute gegenüber dem Begriff Terroir haben und Terroir als elitär, schick, pompös, oder fremdartig empfinden. Manche sind durch den Begriff irritiert und schreiben ihm eine vereinfachende Interpretation zu, während andere schlicht versuchen, sich die Assoziationen des Begriff anzueignen, ohne sich anzustrengen - der Begriff wird verfälscht werden.


Verschiedene Studien haben jedoch gezeigt, dass bestimmte Aspekte des Terroirs das Wachstum von Gerste beeinflussen. Zum Beispiel ist die Stärkekonzentration umso höher, je wärmer die Vegetationsperiode ist. Was ich demonstrieren wollte – und was ich bei Bruichladdich bereits angefangen hatte (damals ohne Ressourcen oder Logistik) - war einfach, dass die Gerste unterschiedlicher Farmen eine Vielzahl von Geschmackseigenschaften aufweist, die auf das Terroir zurückzuführen sind, in dem die Gerste angebaut wurde.

Einige Kritiker sagen, es sei einfach nicht möglich, dass die Aromen der Gerste den Destillationsprozess überleben. Aber genau das tun sie - und jetzt haben wir sowohl die sensorischen als auch die wissenschaftlichen Belege, um dies zu beweisen.

Wir nennen es die Waterford 3T-Gleichung, bei der die wahre Herkunft ein Terroir erfordert. Das allein reicht aber nicht aus, man muss es nachweisen können (Rückverfolgbarkeit) und außerdem muss man es aufzeigen können (Transparenz).

Und Transparenz ist so viel mehr als nur die Sorge um das Label, wo die Branche anscheinend gezwungen ist, die Schuld auf Bürokraten abzuwälzen. Gegenwärtig herrscht eine aufregende, uneingeschränkte Begeisterung für irischen Whisky - in sehr kurzer Zeit ist sehr viel passiert. Verständlicherweise gibt es eine gewisse Naivität in Bezug auf Vorschriften und Aufsichtsbehörden, aber ich bin sicher, dass dies mit der Zeit die richtigen Bahnen finden wird. Zumindest hoffe ich das.



MM: In einem anderen Interview hast du gesagt, du möchtest den tiefgründigsten Whisky Irlands herstellen. Welche Kriterien muss ein Whisky erfüllen, um als „tiefgründig“ zu gelten? Ist Tiefe eine Frage des Geschmacks, der Ideen oder der Produktionsmethoden?

Tiefgründig bedeutet für mich Komplexität, Raffinesse, Tiefe, Schichten, Stimulation, Dimension, Ausdauer, Länge, Beharrlichkeit. Kurz gesagt, maximale sensorische Stimulation. Ein Whisky, der sich im Glas entwickelt, sich Schicht für Schicht sinnlich entkleidet, neckt und betört, sich enthüllt und sich wandelt, sowohl interessant als auch beharrlich ist, fordert Aufmerksamkeit und ist un-wegstell-bar. Tiefgründigkeit können wir sicherlich erreichen und sind auf einem guten Weg dorthin. Denn du darfst nicht vergessen, dass Terroir für uns nur ein Sprungbrett dorthin ist, es ist für uns ein  Mittel zum Zweck.

Ich neige dazu, die Branche von einem anderen Winkel aus zu betrachten. Ich sehe auch das Gesamtbild, das unsere Methodik beeinflusst, zum Beispiel die Auswirkungen der kostensenkenden ökonomischen Ziele, die in den frühen 70er Jahren eingeführt wurden und die sich seither gemütlich eingenistelt haben. 

Die Reifung von kosten-effizientem Destillat aus Gerste mit x-beliebiger Herkunft in bekanntermaßen ausgelaugten Fässern hat zu den heutigen weit verbreiteten Short-Cuts geführt, allen voran das „Finish“ - diesem Nachkommen von Paxarette und E150 -, was sicherlich zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Abfüllungen im Regal geführt hat, ohne jedoch die Produktions- oder Beschaffungsprozesse zu ändern und zu verbessern. 

Vielleicht würde ich sagen, dass es heute ein übermäßiges Vertrauen in das Finish-Fass als Rettungsmittel in letzter Minute gibt, um mit Absicht einen unverhältnismäßig starken Fasseinschlag im Geschmack zu erhalten.



MM: In Deutschland gab es eine große Diskussion über den Sinn oder Unsinn eines Whiskys auf Terroir-Basis, und ein Hauptargument dagegen war die Vorstellung, dass Fässer einen so großen Einfluss auf das Aromaprofil eines Whiskys haben, dass die Aromen aus dem Terroir verändert und übertüncht werden und nach einigen Jahren der Reifung nicht mehr nachweisbar sind. Wie wichtig ist Terroir-Management im Vergleich zu Cask-Management?

Ich bin froh, dass die Leute genauso interessiert an diesem Thema sind wie wir. Und ich verstehe, dass einige unseren Ansatz als Herausforderung empfinden werden, denn wir laden die Neugierigeren ein, ihre Komfortzone zu verlassen. Die Branche begrüßt es nicht unbedingt, wenn der einheitliche Status quo gestört wird. Der Bildersturm wird bestimmt einige aufschrecken, das Wort „Terroir“ scheint ebenso Angst zu verbreiten wie zu titivieren. Vielleicht liegt es daran, dass es keine direkte Übersetzung des Begriffs gibt, dass er für einige, die mit dem Begriff weniger vertraut sind, einen unbegründeten Klang von Elitismus hat.

Wenn das Fass, wie Kritiker sagen, die Gerste übertrumpft, folgt daraus sicherlich, dass man mit Neutralalkohol in einem Fass Whisky produzieren kann. Aber das Ergebnis wäre tatsächlich ein adstringierender, holziger, nicht trinkbarer Trank, der definitiv nicht als Whisky oder gar Single Malt erkennbar ist.

Schmecken Cognac oder Calvados, Bourbon oder ein Blended Whisky, Mescal oder Mirabelle, Rum oder Roggenbrand genauso wie ein Single Malt? Malt Whisky sollte nur drei Zutaten enthalten: Hefe, Wasser und Gerste. Gerste ist der Geschmack von Malt Whisky. Vereinfacht kann man sagen, dass die Fermentation diesen Geschmack freisetzt, die Destillation ihn fixiert und die Reifung ihn weiter entwickelt.

Natürlich ist es etwas komplizierter, aber im Kern liefert der primäre Rohstoff die Identität von Malt Whisky. Destillation und Reifung spielen eine Rolle, aber der Geschmack muss schon vorher vorhanden sein. Und zum Glück für uns ergibt Gerste einen Brand mit den komplexesten Aromen der Welt.

Einige Leute, die bereit sind zu akzeptieren, dass Gerste den Geschmack liefert, bestehen darauf, dass die Produktionsprozesse „zu gewalttätig“ sind, um eine Nuance des Terroirs im New Make zu zeigen, geschweige denn im gereiften Destillat, und ignorieren dabei die Tatsache, dass Cognac ein ganzes Klassifizierungs-System hat, das auf Terroir basiert.


Die unangenehme Wahrheit ist, dass bei der Fermentation freigesetzte Aromastoffe tatsächlich robust genug sind, um im destillierten Alkohol zu erscheinen. Warum sonst überhaupt Gerste verwenden? Wir können die Terroir-Unterschiede im frischen Brand so sicher nachweisen wie die Nacht auf den Tag folgt, sowohl durch wissenschaftliche Analysen als auch durch sensorische Bewertung. Im Spätherbst wird nach einer dreijährigen Studie ein Artikel darüber veröffentlicht.


Ich weiß aus meiner Zeit in Bruichladdich, dass es von Anfang an keine Abkürzung anstelle von ordentlichen Fässern gibt, um einen vollständig integrierten Geschmack zu erzielen. In Waterford haben wir die nötige Weichenstellung für unseren Weg vorgenommen, indem wir bisher über 5 Mio. GBP in den Erwerb von Eichenfässern von bester Qualität investiert haben - nicht um das Leben unseres Whiskys zu „finishen“, also zu „beenden“,  sondern um es zu „beginnen“.

Die offensichtlicheren extraktiven Geschmackselemente (Lignine, Vanilline und Tannine) werden innerhalb weniger Wochen vom Destillat aus frischer Eiche ausgelaugt. Diese bietet auch natürliche Farbe sowie Eichenaromen (vorausgesetzt, sie wurden noch nicht ausgelaugt) und jeglichen Einfluss dessen, was sich zuvor in diesem Fass befand (vorausgesetzt, es wurde nicht dampfgereinigt).

Der Hauptvorteil ist jedoch die langfristige Mikrooxygenierung der ursprünglichen, aus Gerste gewonnenen Aromastoffe des Destillats zusammen mit allen Eichenaromen - bis zu denen, die wir mit dem Alter in Verbindung bringen. Dies geschieht Jahr für Jahr rund um die Uhr, 365 Tage. Es ist dieser teuflisch komplexe Prozess der Interaktion, Reaktion, Evolution und Integration, den wir als Reifung sehr schätzen.

Die vom Terroir hervorgebrachten Geschmacksunterschiede kommen mit Sicherheit in reifem Destillat zum Ausdruck. Wir beobachten, wie sie zunehmen und mit der Zeit immer mehr voneinander abweichen. Aber probiert es selbst. Jeder, der unsere ersten SFO-Abfüllungen verglichen und kontrastiert hat, kann sich diese einfache Frage stellen: Sind diese Waterford-Whiskys identisch? Die Antwort lautet eindeutig nein, sie sind individuell.

Und wir können beweisen, dass jeder SFO von Feld zu Flasche getrennt wurde, wir können nachweisen, dass sie während des gesamten Prozesses identisch behandelt und im selben Fass-Portfolio gelagert wurden. Der grundlegende Punkt ist also folgender: Der integrale Geschmack des Destillats muss von Anfang an vorhanden sein, damit diese Geschmacksvariabilität auftritt. Das ist Terroir.

Sicherlich kann man den endgültigen Geschmack mit einem Fass-Finish beeinflussen, wenn man es wünscht, mit diesem oberflächlichen Zusatzstoff anstelle einer natürlichen, integralen Entwicklung, - denn das ist es, was das Finish letztendlich macht. 100% jungfräuliche Eiche ist im Vergleich zu 100% erschöpftem Holz deutlich zu erkennen. Zwei SFOs aus 100% jungfräulichem Holz sind dennoch leicht zu unterscheiden.

Oder ist der eher uniformierte Vorschlag, dass „Aromen auf Terroir-Basis nach einigen Jahren der Reifung verändert und übertüncht werden und nicht mehr erkennbar sind“, einfach Wunschdenken? Ist ein Finish nur Lippenstift auf einem Schwein oder das Make-up einer Göttin? 

Vielleicht lässt diese Aussage die besorgniserregende Realität durchschimmern, dass moderne Industriedestillate so sehr standardisiert sind - neutral, fade, langweilig, geschmacksneutral -, dass nur die erlösende additive Wirkung von Eichenholz und immer häufiger auch der bisherige Inhalt des Fasses uns darauf hoffen lassen, irgendeinen Geschmack in das Destillat hineinzubekommen und so den Tag noch zu retten? 

Diese Einstellung sollte für jeden ernsthaften Whisky-Fan sehr, sehr besorgniserregend sein.

Vergiss nicht  - Terroir ist nur ein Sprungbrett auf unserer Reise bei Waterford.



MM:  Die ersten Abfüllungen von Waterford haben gezeigt, dass verschiedene Böden den Geschmack eines Destillats stark beeinflussen können. Aber was ist mit anderen Schritten im Produktionsprozess, zum Beispiel der Fermentation und der Verwendung von Hefe? Kannst du uns etwas mehr darüber erzählen, wie das in Waterford gemacht wird? Steht der Rest des Produktionsprozesses irgendwie in Verbindung mit den Terroir-basierenden Aromaprofilen?

Vergiss nicht, dass Terroir mehr ist als nur der Boden - Terroir ist eine 3D-Wechselwirkung zwischen Mikroklima, Boden, Topographie usw. Es gibt ganz eindeutig mehrere wichtige Phasen zwischen dem Feld und der Flasche, die sich auf den Geschmack auswirken können, aber zuerst muss man sich einig sein, woher der Geschmack des Single Malt Whisky kommt. Kommt er von der Gerste, kommt er von der Destillation oder kommt er aus dem Holz?

Er stammt aus den Aromastoffen der Getreidekörner, die während des Wachstums gebildet werden: Gerste ist das Aroma von Malt Whisky und es  ist gesetzlich vorgeschrieben. Wenn wir Mais, Wein oder Äpfel anstelle von Gerste verwenden würden, würden wir mehr oder weniger Bourbon, Cognac oder Calvados bekommen.

Wir untersuchen auch Geschmacksunterschiede in unterschiedlichen Gerstensorten, aber sofern man nicht auf die fünfziger Jahre und längst vergessenen Sorten zurückgreift, sind diese Unterschiede gering, da ab den sechziger Jahren keine genetische Distanz innerhalb der  Zuchtprogramme besteht, die sich eher auf einen hohen Ertrag als auf Geschmack konzentrierten. Wir beabsichtigen, unsere eigenen Sorten nach Kriterien des Geschmack zu züchten.

Wenn du beim Mälzen Fehler machst mit den Temperaturen, der Luftfeuchtigkeit, dem Timing, dann hat das Auswirkungen auf die Stärke und die Vorzucker. Es ist eine Kunst. Glücklicherweise haben wir bei Minch Malt eine spezielle Boby-Mälzerei, die uns die vollständige Kontrolle beim Mälzen bietet. Dies ist jedoch eher eine Frage des Ertrags und weniger eine Frage des Geschmacks. 

Ursprünglich haben wir die gleiche Einstellung während der ganzen Saison verwendet, teilweise um gleiche Bedingungen zu gewährleisten, teilweise (das muss ich zugeben) mussten wir erst einmal verstehen, was da eigentlich genau passierte. Inzwischen mälzen wir jede Farm nicht nur einzeln, sondern auch maßgeschneidert.

Das Maischen, das auf diese Getreidearomen zugreift, wird hauptsächlich im Zusammenhang mit Ertrag gesehen. Waterford verfügt jedoch über eine einzigartige Kombination aus Wassermühle und Maischefilter (dank Guinness), die uns durch einen glücklichen Zufall eine maximale Terroir-Extraktion ermöglicht, indem wir zwischen Wolframplatten anaerob extrem fein mahlen und dann jeden letzten Tropfen Würze pneumatisch auspressen.

Die Fermentation setzt den Geschmack unter Hefewirkung frei. Um eine maximale Geschmacksreinheit zu erreichen, kontrollieren wir die Temperatur der Tanks, damit wir die Zeitspanne von 72 auf über 100 Stunden verlängern können und auf diese Art eine sekundäre Fermentation, die malolaktische Fermentation, fördern. Wir haben die Möglichkeit, mit Hefe herumzuspielen, haben uns jedoch bisher dagegen entschieden und das Terroir zuerst priorisiert. Wir erlauben Chancengleichheit, ohne die Gleichheit der Ergebnisse zu erzwingen. Wir möchten, dass jedes Terroir spricht.

Vereinfacht gesagt „fixiert“ die Destillation diesen Geschmack. Wir verwenden die Brennblasen der alten Inverleven Distillery, die unserem Destillat ein attraktives Gewicht verleihen. Wir lassen sie langsam laufen - Zeit ist kein Problem-  wir verlangsamen alles und nehmen eine miserable 10-Punkte-Middle-Cut-Spanne, um Reinheit und Gewicht in unserem Destillat zu erreichen. Anfangs haben wir absichtlich mit einem einheitlichen Middle Cut begonnen, aber jetzt legen wir ihn nicht eng fest, sondern wir haben eine variable Spanne, die vom Brennmeister, der Gerste und der Ernte abhängt.

Puristisch zu sein ist nicht billig. Wir verzichten bewusst auf potenzielle zusätzliche 60.000 Liter Alkohol pro Jahr, indem wir diese Grundsätze befolgen. Wenn man noch die Verluste durch biodynamische, biologische und traditionelle Gersten hinzu rechnet,  sind es über 100.000 Liter.



MM: Mit welchen Veränderungen habt ihr Mitte 2016 begonnen?

Mark: Ab 2017 haben wir begonnen, wichtige Elemente an jede Farm maßgeschneidert anzupassen. Erst die Gärung, dann in jüngerer Zeit auch das Mälzen. Anfänglich hatten wir teils mit Absicht, teils aus Unwissenheit für jeden Betrieb die gleichen Parameter benutzt. Wir wollten den Terroir-Effekt allein ohne weitere Eingriffe sehen. 

Als wir dann mehr über die Technologie herausfanden, die uns zur Verfügung stand, begannen wir, die Parameter für jedes Terroir zu optimieren: Ein Teil des Problems ist unweigerlich die Logistik. Die Gerste jeder Farm ist anders, auch jede Ernte. Um das Verhalten beim Mälzen und bei der Fermentierung zu optimieren, können wir eingreifen, um aus jeder Herkunftslage das Beste herauszuholen. 

Diese Liebe zum Detail ist Teil unserer Herkunfts-Politik und des gewünschten operativen Regimes. Dies kann beispielsweise darin liegen, dass wir die Fermentation abkühlen, um die Flüchtigkeit zu verringern. Oder die Zeit für die Nachgärung verlängern usw.



MM: Mark, hast Du das Gefühl, dass das Konzept von Terroir und Transparenz einen Einfluss auf Irischen Whiskey als Kategorie haben kann, oder wird Waterford eine exotische Singularität bleiben? Was sind deine Vorhersagen für die Zukunft und was sind deine Hoffnungen?

Ich bin nicht sicher, ob viele Menschen entweder die Vision, den Antrieb, die Ressourcen, das Verständnis oder die Gelegenheit haben werden, um das zu wiederholen, was wir in Waterford unternommen haben. Trotzdem setze ich das gleiche Konzept mit Zuckerrohr in Grenada um (möglicherweise mit dem ersten rein weiblichen Destillierteam). "Exotische Singularität" vielleicht, wie du es nennst, aber ich würde sagen, es ist vor allem ein wichtiges Sprungbrett für uns in einem größeren Gesamtkonzept.

Irischer Whisky oder irgendein anderer Whisky braucht kein Terroir, um zu überleben. Ich gehe davon aus, dass es eine Menge Leute geben wird, die auf den Zug aufspringen werden, den Begriff verwenden, Ideen oberflächlich kopieren, aber gleichzeitig ihre Produktionsphilosophie nicht ein Jota ändern. Darin zeichnet sich die Branche aus. 

Leider, und ich fühle mich schuldig, kann das Terroir von dieser mächtigen Industrie massiv so korrumpiert werden, dass es bedeutungslos wird. Ich würde wetten, dass wir in den kommenden Jahren viele Hochglanzbilder von bukolischen, pittoresken Gerstenfeldern, und Farmern auf ihren Feldern sowie Abfüllungen mit Gerstennamen sehen werden – und dabei die Idee des Terroirs zerstört, gestohlen und korrumpiert wird.


Ich bin schon lange von Gerste fasziniert. Ich denke, dass dieser primäre Rohstoff, der Ursprung all dieses Whisky-tums, unsere Aufmerksamkeit verdient und dennoch scheint es, dass niemand darüber diskutieren möchte. Die großen Konzerne verschleiern, verspotten und beklagen, zerstreuen und verachten das Terroir, während ihr eigener industrieller Ansatz so vage ist als wenn man sagen würde, dass man einen Wein machen werde -aber  mit Trauben von egal woher.

Waterford Whisky ist nicht jedermanns Sache. Es ist eindeutig für Neugierige, Aufgeschlossene, Erleuchtete, für diejenigen, die mehr erleben und lernen, vergleichen und kontrastieren, debattieren und diskutieren, aber vor allem mit Freunden teilen und genießen wollen.

MM: Mark, ich bin sicher, die Debatte über Terroir und die Frage, was einen guten Whisky ausmacht, wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen. Vielen Dank, Mark, dass du dir die Zeit genommen hast, um deine Ideen mit uns zu teilen und uns Einblicke zu gewähren in dieses überaus faszinierende Thema.



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