Interview der Woche: Joel Harrison, Spirituosen-Experte und Buch-Autor, über Gin, Rum, Whisky und warum die Schotten sich in Acht nehmen müssen
Viele von euch kennen Joel Harrison wahrscheinlich noch aus
seiner Zeit als Whisky-Blogger von Caskstrenght.
Heute ist er ein preisgekrönter Getränke-Autor und vielbeschäftigter Spirituosen-Experte.
In meinem Interview für „Whiskyundfrauen“ gibt er uns einige Einblicke in die neuesten
Trends und Entwicklungen von Whisky, Rum und Gin, und erklärt uns, warum Cognac
Terroir hat, Whisky aber nicht, warum wir beim Rum mehr Regularien brauchen,
warum Beefeater ein total unterschätzter Gin ist und warum die Schotten
aufpassen müssen.
Der ehemalige Whisky-Blogger Joel Harrison hat in den
vergangenen Jahren eine atemberaubende Karriere in der Spirituosen-Welt gemacht, und ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, seine Leistungen aufzulisten. Joel nicht nur Keeper
of the Quaich, die höchste Auszeichnung für schottischen Whisky, sondern auch ein
Mitglied der Compagnie des Mousquetaires d'Armagnac und Mitglied in der Gin Guild sowie ein WSET-geprüfter
Ausbilder für Spirituosen.
Dass er wunderbar schreiben kann, hat er schon als Blogger bewiesen und seit Jahren schreibt er für renommierte
Zeitschriften und Zeitungen wie The Telegraph, Whiskey Magazine, The Wall Street
Journal India, World of Fine Wines sowie andere Magazine auf der ganzen Welt. Größere
Bekanntheit erlangte er durch regelmäßige Fernsehauftritte in großen
Fernsehsendungen wie Sunday Brunch und The Ultimate Shopping List von Channel 4 sowie Radioarbeiten in ganz Großbritannien, Amerika, den
USA und Indien. Zudem hat er eine Reihe von Lehrvideos für den WSET über Cognac
erstellt.
Joels Urteil ist geschätzt, er ist Juror bei den IWSC Awards, den World Whiskey Awards, den Spirits
Masters, den IMBIBE Awards und Vorsitzender
der Independent Bottlers Challenge (Whisky). Zusammen mit seinem Geschäftspartner
Neil Ridley betreibt er die Marketingberatungs-Firma „Caskstrength Creative“
und entwickelt kreative Konzepte und neue Produkte im Getränkebereich.
Mittlerweile ist er auch ein überaus erfolgreicher Buch-Autor: Sein Debütbuch "Distilled" wurde inzwischen in 15 Sprachen übersetzt und sein zweites Buch, "Straight Up: Ein Leitfaden für globales Trinken", wurde bei den Tales of the Cocktail 'Spirited Awards' als eines der Top 10 Spirituosenbücher 2017 gekürt. Sein drittes Buch, "The World Atlas Of Gin", wurde im September veröffentlicht 2019 und wird demnächst auch in Deutsch erscheinen.
Bei so viel kreativem Schaffensdrang kann man nur anerkennend
den Hut ziehen. Seinen Blog, den er zusammen mit Neil Ridley bis ca. 2015 regelmäßig betrieb, hatte ich mit Begeisterung gelesen, und auch seine Bücher sind ein wahrer Lesegenuß. Deshalb freue ich mich sehr, dass er heute als Interview-Gast bei "Whiskyundfrauen" mit mir über die aktuellen Trends bei Whisky, Rum und Gin und sein jüngstes Buch plaudert.
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MM: Joel, du bist ein bekannter Spirituosenexperte und preisgekrönter Buchautor. Kannst du meinen Lesern sagen, wie du in die Spirituosenindustrie gekommen bist?
Joel: Ich habe im Musikgeschäft als Plattenmanager bei Universal / Island Records gearbeitet. Ich war oft nächtelang unterwegs (ohne zu trinken, da ich die Künstler bewertet habe!) Wenn ich dann nach Hause kam - oft spät in der Nacht - wollte ich einen Drink zum Entspannen. Eine Flasche Wein war zu viel, ein Bier hat nicht richtig gepasst ... also fing ich an, Whisky zu trinken! Single Malt Scotch. Man kann sich so viel oder so wenig einschenken, wie man Lust hat. Es war toll. Schon bald hatte ich eine Sammlung von Malts und fing an, in einem Geschäft bei mir um die Ecke einzukaufen: The Whiskey Exchange. Ich habe viel gelernt und zusammen mit Neil Ridley, einem Kollegen aus der Musikindustrie, einen Blog namens Caskstrength.net gestartet.
Das war der Anfang unserer Karriere, da unser Schreibstil ganz anders war als der von anderen Leuten, unsere Texte waren zugänglich und wir waren viel jünger als andere Leute in der Welt der Schreiberlinge, da wir beide noch in unseren 20ern waren. Unsere Leserschaft wuchs schnell, wir gaben beide unseren Job auf und wurden Vollzeit-Autoren. Wir haben seither einige Bücher geschrieben, und unser Debütbuch Distilled wurde 2015 mit dem Titel „Fortnum and Mason Food and Drink Book des Jahres“ ausgezeichnet. Es ist jetzt in 15 Sprachen erhältlich und das weltweit meistverkaufte Buch über Spirituosen. Die letzten Jahre waren für mich eine unglaubliche Reise.
MM: In letzter Zeit gab es ziemlich viel Aufhebens um das Thema Whisky
und Terroir. Warum hat Cognac Terroir, Whisky aber nicht?
Joel: Du erwischst mich zu einem guten Zeitpunkt, denn ich habe
gerade einige Zeit mit einem erstaunlichen Cognac-Experten verbracht. Er ließ
mich sogar einen Cognac aus dem Jahr 1880 probieren…! Cognac wird aus zarten
Trauben hergestellt, die auf Terroir beruhen. Eine Rebsorte kann in einem Teil
von Cognac gut und in einem anderen weniger gut funktionieren. Die Qualität des
Wachstums wird sich auf die Qualität des daraus hergestellten Weins und damit
auf die Qualität des aus diesem Wein hergestellten Brand auswirken.
Diese Trauben wachsen nur einmal im Jahr und können nur in einem bestimmten Zeitraum geerntet werden. Der Wein kann nur eine bestimmte Zeit gelagert werden, bis er destilliert wird. Whisky hingegen wird aus Gerste hergestellt, die das ganze Jahr über gelagert werden kann und die von überall in der Welt herkommt. Gerste ist ziemlich robust. Daher ist Terroir in der Welt des Whiskys weit weniger wichtig!
Diese Trauben wachsen nur einmal im Jahr und können nur in einem bestimmten Zeitraum geerntet werden. Der Wein kann nur eine bestimmte Zeit gelagert werden, bis er destilliert wird. Whisky hingegen wird aus Gerste hergestellt, die das ganze Jahr über gelagert werden kann und die von überall in der Welt herkommt. Gerste ist ziemlich robust. Daher ist Terroir in der Welt des Whiskys weit weniger wichtig!
MM: Sind Cask-Finishes die Nachfolger von
Paxarette und E150 geworden, die nur noch als praktische Abkürzung dienen, um aus einem mittelmäßigen Fass eine teure Abfüllung zu machen?
Joel: Ja und nein. Das Fass ist ein sehr wichtiges Element der
Whiskyproduktion. Etwa 70% des Whiskygeschmacks stammen aus dem Fass. Daher ist
es fast wichtiger als die Gerste selbst. Und um legal Whisky genannt zu werden,
MUSS der Brand in Eichenholz gereift sein. Warum also nicht ein bisschen Spaß
mit den Fässern haben? Wenn Whisky 10 Jahre lang in einem Kack-Fass sitzt,
warum sollte man ihn dann nicht ein paar Monate lang in etwas Besseres
umwandeln, um ihm Geschmack zu verleihen? Daran sehe ich nichts auszusetzen,
solange der Verbraucher informiert ist.
Ich denke nicht, dass es eine schnelle
Lösung für mehr Geschmack ist. Wenn Fass-Finishes nur Phantasmagorien wären,
dann wäre die Kunst des Fass-Finish längst ausgestorben. Kann es aus einem
mittelmäßigen Fass eine teure Abfüllung machen? Ja, aber ein Dummkopf und sein
Geld lassen sich leicht trennen. Solche Abfüllungen bleiben nicht lange teuer
und werden nicht verkauft, wenn sie Mist sind!
MM: Immer mehr Verbraucher interessieren sich für Whisky
aus der ganzen Welt. Ist Schottland in Gefahr, seine Dominanz als Whisky
produzierende Nation zu verlieren?
Joel: Ja, in gewisser Weise trifft das zu. Schottland
ist immer noch der Goldstandard, da die Vorschriften so streng sind, dass sie einerseits
ein gewisses Maß an Qualität gewährleisten. Dadurch behindern sie aber andererseits
auch die Kreativität. Schau dir Starward an: erstaunlicher junger Whisky.
Kavalan: Tolles Zeug. Oder nehmen wir Irish Pot Still Whiskey wie Red Breast:
wunderbar.
Andererseits können alle diese Brennereien nicht mit dem Erlebnis
konkurrieren, den der Moment bietet, wenn man einen Lagavulin-Whisky am
Lagavulin-Pier vor der Brennerei trinkt. Scotch wird immer Magie haben und wird
immer Herz, Geschichte und kulturelles Erbe beinhalten, etwas, das andere
Länder sich erst einmal erarbeiten müssen.
Wenn es um Japan geht, vertraue ich
wirklich dem Whisky von Suntory, aber es gibt eine Menge japanischen Whisky,
der tatsächlich aus Schottland importiert wird und dann als japanischer Whisky
in die Flasche kommt. Ich habe die entsprechenden Fässer mit eigenen Augen gesehen.
Du musst dir als Verbraucher bewusst sein, dass strenge Vorschriften auch eine gute Sache
sein können und dem Schutz des Verbrauchers dienen sollten.
MM: Aufgrund der schnell steigenden (und manchmal
verrückten) Preise für Whisky haben viele Menschen begonnen, nach
„Malternativen“ zu suchen. Werden Rum, Cognac, Armagnac oder Brandy das nächste
„große Ding“ sein?
Ich hatte diese Woche einen 45 Jahre alten Cognac von Hermitage (und
einem Indie-Cognac-Abfüller), der für etwa 350 Pfund im Einzelhandel erhältlich
ist. Es war besser als viele Scotch Whiskys, die das doppelte kosten. Also ja! Probiert
andere Spirituosen aus und macht das mit einem offenen Auge (und einer offenen Brieftasche!)
MM: Rum ist in den letzten Jahren immer beliebter
geworden. Ist es möglich, über Rum zu sprechen, ohne seine schwierige
Geschichte zu erwähnen, die mit Plantagen, Kolonialismus und Sklaverei
verbunden ist?
Joel: Ich denke, dass die Geschichte ein wichtiger Bestandteil
jedes Produkts, Ortes oder jeder Person ist und berücksichtigt werden muss,
während wir gleichzeitig verstehen sollten, dass wir in der Zukunft unsere
Energie konzentrieren und die Zukunft für diejenigen verändern müssen, die
derzeit stark von den Problemen der Gegenwart betroffen sind. Die engstirnigen Menschen
zu verändern, die andere Menschen zurückhalten und kleinhalten - das ist unsere
größte Herausforderung und dort sollten wir unsere Energie konzentrieren, ohne
die Vergangenheit zu vergessen.
MM: Einige Rums können bis zu 45 Gramm zusätzlichen Zucker
pro Liter enthalten. Ist diese weit verbreitete Methode der „Dosierung“
akzeptabel oder denkst du, dass Rum „zuckerfrei“ sein sollte?
Joel: Ich denke, Rum braucht weniger Zucker. Zu viel davon
ist viel zu süß. Wenn es Teil des Herstellungs-Prozesses ist, ist das ja in
Ordnung, aber man sollte den Zuckergehalt etwas hinunterschrauben. Genauer
gesagt, man sollte ihn verdammt viel hinunterschrauben!
MM: Brauchen wir strengere Vorschriften für Rum in der EU?
Joel: Ja, Rum ist der Wilde Westen des Alkohols und man braucht hier viel mehr Regulierungen.
MM: Wenden wir mal einer anderen beliebten Spirituosenkategorie zu: Die wachsende Anzahl von vielen neuen Brennereien auf der ganzen Welt hat zu einem enormen Boom an Gin-Marken geführt, die den Markt in den letzten Jahren überflutet haben. Ist Gin ein billiger und schneller Weg geworden, um Geld zu verdienen, oder gibt es tatsächlich Qualitätsprodukte, die du empfehlen kannst? Wie gut ist ein „guter Gin“ - und was ist überhaupt ein „guter Gin“?
Es gibt viele tolle
Gins da draußen. Manche davon werden aufgrund ihres Preises links liegen
gelassen, wie etwas Beefeater, was mich immer wieder erstaunt. Es gibt diesen
Gin schon so lange, er wird komplett in der Beefeater-Brennerei in London
hergestellt und ist von extremer Qualität und Beständigkeit. Und es gibt einige
Craft-Gins, die auch erstaunlich sind. Diese Welt (wie bei Bier, denke ich) ist
jedoch gerade ein bisschen in Bewegung, da einige Leute denken, sie könnten
morgens aufwachen, eine Brennblase kaufen, anfangen, Gin zu machen und sich
selbst als Master Distiller bezeichnen. Das nervt mich. Man muss sich diesen
Titel erst mal verdienen!
MM: Ist der berühmte und traditionell dominierende „London
Dry Gin“ immer noch eine relevante Kategorie? Oder ist er eine sterbende
Spezies geworden, die nur alte Damen mit Hüten anspricht?
Joel: Er ist überhaupt nicht sterbend. London Dry ist
wirklich der Grand Cru des Gins, da alle Pflanzenstoffe für den
Destillationsprozess verwendet werden müssen. Er stellt sicher, dass die
Botanicals natürlich und real sind, und er ist eine echte Kunst.
MM: Welche Trends erwartest du beim Gin für die nächsten fünf
Jahre? Wird die Kategorie weiter wachsen?
Joel: Ich hoffe das sehr, denn Gin ist unglaublich. Ich denke an all die
Spirituosen, die Bier oder Wein am ähnlichsten sind, in dem Sinne, dass sie es den Leuten ermöglichen, lokale Getränke zu trinken. Ich probiere immer gerne lokale Biere
und Weine auf der ganzen Welt, und jetzt gehört Gin irgendwie auch dazu. Ich denke
also, dass es viele, viele lokale Gins geben wird und einige zu globalen
bekannten Namen werden, aber die meisten werden nur innerhalb ihrer lokalen
Gemeinschaft respektiert. Das ist der Trend, den ich sehe. J
MM: Dein aktuelles Buch „Gin Atlas“ wird in Kürze in deutscher
Sprache erhältlich sein. Worum geht es in dem Buch?
Joel: Das Buch ist ein Blick auf die Gin-Kategorie auf der ganzen
Welt. Es beinhaltet die Geschichte von Gin und ein Kapitel über Botanicals und
Produktion. Der Großteil des Buches kuratiert eine Auswahl von Gins aus über 50
Ländern, wobei ein wichtiges Kriterium war, dass jeder Gin auch tatsächlich in der eigenen Brennerei
hergestellt wird (viele Gins werden von industriellen Alkoholproduzenten im Auftrag für
einen Marken-Inhaber hergestellt), wobei lokale Pflanzenstoffe verwendet werden,
und vor allem muss der Gin wirklich gute Qualität haben! Man kann das Buch also als
Leitfaden für das Trinken von brillanten Gins aus der ganzen Welt betrachten!
MM: Wann wird es in Deutschland vorgestellt? Wirst du selbst anwesend sein?
MM: Wann wird es in Deutschland vorgestellt? Wirst du selbst anwesend sein?
Joel: Der Launch wird am 17. September in München stattfinden. Ich habe vor, dazu auch selbst nach Deutschland zu kommen, vorausgesetzt, Covid-19 macht mir keinen Strich durch die Rechnung.
MM: Ich wünsche dir viel Spaß in München und weiterhin viel Erfolg. Vielen Dank, Joel, dass du dir die Zeit für dieses
Interview genommen hast.
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