Rum für Whisky-Fans: (7) Die legendären Brennblasen von Jamaica - ein deutsch-niederländisches-schottisches Hochzeitspaar

Die Rums von Jamaica haben so manche Gemeinsamkeit mit schottischem Whisky: sie sind fruchtbetont, werden noch immer auf Pot Stills gebrannt und ihre Besitzer stammten in früheren Jahrhunderten oft aus Schottland. Doch genauso wie in Schottland ist es dann doch nicht. Die Wurzeln der Brennblasen von Jamaica liegen in einem ganz anderen Land. 

Plantage, Jamaica, um 1800 (Gemälde von Catherine Street, 1821)

Zum Abschluss meiner kleinen Rund-Reise durch die Brennereien von Jamaica möchte ich euch noch ein Thema vorstellen, das mich besonders fasziniert: die berühmten jamaikanischen Pot-Still- Anlagen.

Die Pot Stills von Jamaica sind legendär, und sehen mit ihren langen Lyne-Arms ein bißchen aus wie Rüsseltiere an einem Wasser-Fass. Bis heute sind sich die Schriftgelehrten nicht einig, wie und wo diese urtümlich wirkenden Pot Stills eigentlich entstanden sind. 

Das Rätsel der Brennblasen von Jamaica

Kennt man sich jedoch in der Geschichte der Brennapparate-Entwicklung aus, dann ist es längst nicht mehr so rätselhaft wie man auf den ersten Blick glauben könnte. Es ist die Fass-Form, die uns auf die richtige Spur bringt.

Oft wird die Wurzel der Jamaica-Brennblasen in Frankreich gesehen, und mit einem gewissen Monsieur Adam in Verbindung gebracht. Doch die recht komplizierte Anlage von Adam hat nie Gefäße in der Form von Fässern verwendet. Seine Brenngefäße waren ursprünglich kastenförmig, und wurden später durch runde, Ei-förmige Strukturen ersetzt. Die Brennblasen in Fässer-Form finden wir nicht in Frankreich. Alte Unterlagen in zahlreichen Online-Archiven bringen uns auf eine Spur, die in ganz andere Regionen verweist: nach Wittenberg, Frankfurt, Greve, Amsterdam und zu den Schweizer Eidgenossen. 

Ich möchte euch einladen, mit mir in die Vergangenheit einzutauchen und endlich das Rätsel der Brennblasen von Jamaica zu lösen.

Brennblase Hampden Estate, Jamaica. Bild: Kirsch Import

1551 - Lonicer, Frankfurt

Die frühesten Belege für Alkoholdestillation in Europa finden wir in Sizilien und Nord-Spanien, von wo die Kenntnisse alsbald nach Deutschland und andere europäische Länder weitergegeben wurden. Ursprünglich nur im medizinischen Bereich eingesetzt, verbreitete sich die Alkoholdestillation ab 1600 auch im landwirtschaftlichen Bereich. Wie wir anhand einer Abbildung aus dem Buch des deutschen Botanikers Adam Lonicer von 1551 erkennen können, war das Prinzip der Wasserkühlung mit Hilfe einer großen Kühlspirale bei der Destillation zu diesem Zeitpunkt im Rheintal bereits längst bekannt. (siehe Bild 1). 

Bild 1:Lonicer 1551, Frankfurt

1. Weyers Feuer-und-Dampf-Destillations-Anlage

1586 - Matthioli, Frankfurt

1586 erschien in Frankfurt am Main ein Buch, das eines Tages für die weitere Entwicklung von Brennanlagen eine große Bedeutung haben sollte, auch wenn zunächst nur wenig darauf hindeutete.

Es handelte sich um eine überaus prachtvolle Übersetzung des Pflanzenbuchs von Pietro Andrea Matthioli unter dem Titel „Kreutterbuch deß hochgelehrten und weltberühmten Petri Andreae Matthioli“.

Der Autor des Buches, Pietro Matthioli, stammte aus Norditalien und war Leibarzt des deutschen Kaisers Maximilian II. und Erzherzog Ferdinand II. gewesen. Er genoss bei Hof ein hohes Ansehen, wurde 1562 in den Adelsstand erhoben und zum Hofrat ernannt. Seine große Leidenschaft gehörte der Botanik und der Wirkungsweise von Pflanzen als Arznei. 

Aufgrund dieser hohen Stellung waren seine Bücher begehrt und viel beachtet. Eine ältere Ausgabe dieses Werkes war bereits 1563 in Wien erschienen (New Kreüterbuch, digitalisiert von der Bayerischen  Staatsbibliothek München). 

Interessanterweise enthält die Frankfurter Ausgabe eine Abbildung, die in der älteren Prager Ausgabe noch fehlte: eine Anlage mit zwischengeschalteter Dampfbrennblase (siehe Bild 2). Freimütig gesteht der Herausgeber, dass er diese Abbildung selbst ausgewählt und hinzugefügt hat, weil er sie für äußerst beachtenswert hält. 

Er gibt sogar die Quelle bekannt: die Abbildung stammt aus dem Arzneibuch des deutsch-holländischen Arztes Johannes Weyer, das 1580 ebenfalls in Frankfurt erschienen war. Die Darstellung zeigt eine Destillieranlage, die zu diesem Zeitpunkt noch neu und ungewöhnlich ist. Der erste Teil der Anlage besteht aus einer herkömmlichen Pot Still. Doch anstatt die Rohrverbindung direkt zum Kühlfass zu leiten, hat Weyer noch eine weitere Pot Still dazwischen gesetzt. Das Revolutionäre dieser Idee: während die erste Brennblase in einem Ofen direkt befeuert wird, wird die zweite Brennblase mit dem Dampf aus der ersten Brennblase erhitzt. Und so erstaunlich es klingt: das System funktioniert. 

Bild 2: Brennanlage für die "subtile Destillation", Johannes Weyer, 1559 (1586)


Wir wissen nicht, ob Weyer tatsächlich der erste war, der eine solche Anlage benutzt hat, doch er ist der erste, dem nachweislich diese Anlage zugeschrieben wird. Die Brennanlage muss damals große Beachtung gefunden haben, denn ihre außergewöhnliche Entstehungsgeschichte ist sogar überliefert. 

1559 - Weyer, Tecklenburg

Weyer, mitunter auch Wîer genannt, war adeliger Abstammung und stammte aus Greve in Nord-Brabant. Die Herkunft seiner Familie ist nicht vollständig geklärt, doch wahrscheinlich lebten die Weyers ursprünglich in dem Ort Wieringerland, der bei einer schweren Sturmflut 1530 überspült wurde und unterging. 

Nach einer Schulausbildung in Bonn ging Weyer zunächst nach Paris und Orleans, wo er Medizin studierte. Nach seiner Rückkehr arbeitete er ab 1540 als Arzt in seinem Heimatort, ehe er 1550 als Leibarzt an den Hof von Herzog Wilhelm III. von Jülich-Cleve-Berg berufen wurde. 

Weyer galt als sehr intelligent und belesen, und ist heute vor allem als Kämpfer gegen den Hexenwahn und Hexenverbrennungen berühmt. Doch auch als Arzt muss er erfolgreich gewesen sein. Schon bald vertrauten auch andere Adlige im Umkreis des Herzogs seinen Heilkünsten. 

Eine von ihnen war die Landgräfin Anna von Tecklenburg-Schwerin. Anna war eine ausgesprochen moderne und umsichtige Regentin, der die Entwicklung von Arzneimitteln und die Krankenpflege ein großes Anliegen war. Ebenso wie die sächsische Kurfürstin Anna von Dänemark und Gräfin Dorothea von Mansfeld unterhielt Anna von Tecklenburg-Schwerin eine Hofapotheke und ein großes Brennhaus zur Herstellung von Aqua Vitae. Dass alle drei Damen protestantischen Glaubens waren, wird für den weiteren Verlauf unserer Geschichte noch von Bedeutung sein, weshalb ich es an dieser Stelle ausdrücklich erwähne.

Als Anna 1559 schwer erkranke, holte sie Johann Weyer zu sich auf die Tecklenburg. Weyer entwickelte für die Gräfin ein spezielles Aqua Vitae gegen Bauchgrimmen und Leibesschmerzen, das Anna nach ihrer Genesung in großen Mengen in ihrer Hofapotheke herstellen ließ. Weyer übergab Anna nicht nur die Rezeptur für das Aqua Vitae, sondern auch eine Zeichnung der Brennanlage, auf der er das Aqua Vitae für die Gräfin hergestellt hatte. Weyer bezeichnete die Destillation auf dieser Anlage als „Subtile Destillation“ und seine Brennanlage wurde in der Folgezeit in den protestantischen Gebieten Deutschlands sehr bekannt und kopiert. (siehe Bild 3).

Bild 3: Abb. aus Arzneybuch Johnann Weyer, Frankfurt/Main, 1580

1602 - Crescenzi, Straßburg

Schon bald hatte sich das Wissen um diese Anlage bis an den Oberrhein herumgesprochen. Eine entsprechende Abbildung findet sich1602  in einem in Straßburg gedruckten Werk, das dem italienischen Naturgelehrten Pietro de' Crescenzi zugeschrieben wurde.  

Crescenzi wurde um 1235 in Bologna geboren und widmete sich in späteren Jahren vor allem dem Studium der Landwirtschaft und Botanik. Sein Buch über Landwirtschaft wurde erstmals 1471 in deutscher Sprache publiziert und in den folgenden 200 Jahren immer wieder in neuen Variationen herausgebracht. 

Weyers Brennanlage für „subtile Destillation“ ist in älteren Ausgaben von Pietro de' Crescenzi jedoch nicht enthalten, sie wurde erstmals 1602 in Straßburg seinem Werk hinzugefügt und speziell für die Destillation von Kräuterölen empfohlen. (siehe Bild 4)


1603 - Coleri, Wittemberg

Ein weiteres sehr einflussreiches Buch war das "Perpetuum Calendarium" des Brandenburger protestantischen Pfarrers und Mediziners Johannis Coleri, das erstmals 1589 in der Lutherstadt Wittemberg erschien und in deutscher Sprache verfasst ist. Hier finden wir neben vielen guten Ratschlägen für den erfolgreichen Landwirt auch ein großes Kapitel, das sich mit der Destillation von Alkohol befasst. 

Das Buch war vor allem in protestantischen Kreisen sehr beliebt und erschien zwischen 1589 und 1697 immer wieder in zahlreichen Ausgaben. In der Ausgabe von 1603 taucht erstmals auch die Anlage von Johann Weyer im Werk von Coleri auf. (Siehe Bild 5).

Bild 5: Coleri, Calendarium Perpetuum, Teil 6, 1603, Wittemberg, 

1603 - Libavius, Jena und Rothenburg

Im selben Jahr ließ der Alchemist, Medicus und Dichterfürst Andreas Libavius ​​​​(Libau) in Frankfurt ein Buch herausgeben, das auch die Weyersche Feuer-und-Dampf-Destille enthielt. Libavius, der in Halle und Wittenberg unterrichtet wurde, ging später nach Basel, Jena, Coburg und Rothenburg, wo er als Physiker eine hohe Stellung einnahm. Libavius ​​​​​​ist vor allem für das Schreiben eines Buches namens Alchemia in Erinnerung geblieben, eines der ersten schriftlichen Chemielehrbücher.


Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten war die Feuer-und-Dampf-Brennanlage von Weyer im gesamten Deutschen Reich gekannt.

2. Glaubers Dampf-Destillations-Apparat und die Erfindung der Brennblase aus Holz 


1645 - Glauber, Frankfurt und Amsterdam

Vier Jahrzehnte später wurde die inzwischen sehr bekannte Destillations-Anlage von Weyer durch den deutschen Apotheker Glauber verfeinert und weiterentwickelt. 

Glauber stammte ursprünglich aus dem Spessart. Nachdem er lange Zeit im Raum Frankfurt gelebt und gearbeitet hatte, ließ er sich 1656 als Apotheker in Amsterdam nieder, wo seine Bücher auch veröffentlicht wurden. Die Brennblase von Weyer kannte er mit Sicherheit. Zu den Produkten, die Glauber in seiner Apotheke verkaufte, gehörten neben Salz- und Schwefelsäure auch Essig, Wein und Bier. Bis heute ist das von ihm entwickelte Glaubersalz ein elementarer Bestandteil in der Heilmedizin.

Glauber kannte sich bestens aus mit der Destillation aus Hafer, Gerste, Roggen, Weizen und Früchten wie Äpfeln, Birnen, Kirschen oder Pflaumen. Eines seiner Hauptanliegen war es, aus Getreide oder Bier eine Spirituose herzustellen, die so gut wie französischer oder spanischer Brandy war und deren Herstellung nicht viel kostete (siehe Glauber, Annotations, 1661).

Annotationes Uber den Appendicem Welcher zu Ende des Fünfften Theils, Philosophischer Oefen gesetzet, vund von underschiedlichen guten, nutzbahren, und ungemeinen Secreten tractiret, Glauber 1661


1645 finden wir in einem seiner Bücher die Darstellung einer Zweifach-Destillation, die auf der Anlage von Weyer basierte. Anders als Weyer hatte Glauber aber komplett auf die Direktbefeuerung und auf Kupfer verzichtet. Nun wurde nicht nur die zweite Brennblase, sondern auch die erste Brennblase mittels Dampfs betrieben. 

Glauber, Furni Novi, Band 3, Amsterdam 1648


Diese Veränderung hatte Konsequenzen: Glauber fand heraus, dass die Form einer Pot Still bei der Dampfdestillation vernachlässigt werden kann. Aufwändige Pot Stills waren nicht nötig, es reichte ein einfacher Trommelbehälter. Die Anlage hatte aber noch einen weiteren Vorteil: da Glauber auf die Direktbefeuerung verzichtet hat, mussten seine Behälter nicht feuerfest sein. Erstmals war es möglich, eine Destillieranlage aus Holz zu fertigen.. (siehe Bild 6a-c). 


Bild 6a: Glauber, 1646, Amsterdam, J. Fabel, 

Bild 6b: Glauber, 1646, Amsterdam, J. Fabel, 

Bild 6c: Glauber, 1646, Amsterdam, J. Fabel, 


Wie aus dem Text hervorgeht, hat Glauber diese Anlage sowohl für die Destillation von Alkohol als auch für die Destillation von Pflanzenölen verwendet. Der komplette Verzicht auf kupferne Pot Still brachte einen gewaltigen Vorteil mit sich: Man braucht keine großen Mengen an Kupfer mehr, um die Anlage zu bauen. Eine Rohrleitung aus Kupfer und ein Einsatz für den Ofen reichte, der Rest konnte mit Gefäßen aus Holz hergestellt werden. Die Holzbrennblase war erfunden. (siehe Bild 6d)

Seine Veröffentlichungen zwischen 1646 und 1651 stießen in Fachkreisen auf enormes Interesse. Der Brite Cheney Culpeper, Alchemist und Mitglied der internationalen, protestantischen Wissenschafts-Gruppe "Hartlib Circle" schrieb bereits 1646 einen Brief an Samuel Hartlib mit der Bitte, ihm ein Exemplar des gerade frisch gedruckten Werks samt Übersetzung zu schicken. Titel des Werkes: "Furni Novi Philosophici Oder Beschreibung einer New-erfundenen Distillir-Kunst". Glauber wusste genau, was er da erfunden hatte. (Quelle siehe hier)  Eine weitere Ausgabe wurde 1700 in Prag veröffentlicht. [online 'Ausgabe siehe hier]

Bild 6d: Neuartiger Ofen zur Dampfdestillation in Holzfässern. Glauber, 1651

Glauber hat seinen Dampfkocher nicht nur zum Destillieren benutzt. Auch zum Aufheizen von Badewasser und einem Schwitzkasten war er verwendbar.

1689 - Glauber, London

1689 erschien glaubers Werk unter dem Titel  "The works of the Highly Experienced and Famous Chymist John Rudoph Glauber" in London. Das Buch enthält auch eine Abbildung von Glaubers fassförmiger Holz-Brennblase und eine genaue Beschreibung. 




1930- Appalachen

Die nächste Station auf unserer Reise durch die Zeit führt uns über den großen Teich nach Nordamerika. Dreihundert Jahre später finden wir in den Appalachen eine Brennanlage vor, die aussieht, als wäre sie noch von Glauber persönlich entworfen worden. 

Betrieben wurde die illegale Moonshine-Anlage aus dem nördlichen Georgia mit einem Dampfapparat. Die erste und zweite Brennblase wurden durch zwei hölzerne Fässer ersetzt, die mit Maische gefüllt wurden und dahinter befand sich noch ein kleineres Fäßchen zum Rektifizieren, der sogenannte Doubler, der meist mit Wasser befüllt war. Mittels Kupferrohren wurde der Dampf durch den ersten Behälter in den zweiten Behälter und schließlich in den Doubler geleitet, von wo aus er dann in das Kühlfaß strömte. Die Anlage ermögliche eine Dreifach-Destillation in nur einem einzigen Brenndurchlauf.  Zudem hatte sie den Vorteil, dass sie mit einfachsten Mitteln errichtet werden konnte (siehe Bild 7). 

Dampfbetriebene Holzbrennblasen waren in den waldreichen Gebieten Nordamerikas lange Zeit sehr beliebt, und wurden wahrscheinlich schon von den frühen Siedlern benutzt. Kupfer war in den Kolonien teuer und selten, Holz hingegen gab es in Pennsylvanien und in den ausgedehnten Wäldern der Appalachen in Hülle und Fülle. 


Bild 7: Moonshine Brennblase aus den Appalachen. Quelle unbekannt.

Ein besonders ausgefallenes Modell war die sogenannte Baumstamm-Brennanlage, die komplett in einen großen Baumstamm hineingearbeitet wurde (siehe Bild 8). Betrieben wurde sie mit Dampf, der im Boiler (1) erzeugt wurde. Links vom Boiler befand sich ein Fach (W), in dem Wasser erhitzt wurde, mit dem man die Maische ansetzte. Dort war auch ein Sicherheitsventil gegen Überdruck eingebaut. Rechts vom Boiler befanden sich (2 + 3) die Beer Tubs, die die Bierwürze enthielten. Daran schloss sich (4) der Doubler an. Während der Destillation stieg der Alkoholgehalt im Dampf auf seinem Weg durch die einzelnen Abteilungen immer weiter an. Der alkoholhaltige Dampf wurde dann vom Doubler über eine Kupferspirale in ein Kühlfaß geleitet.


Bild 8: Log Still (Baumstamm-Brennapparat) (Abb. aus Hall, 1818)


1980 - Schweiz

Doch auch in Europa hat der hölzerne Glaubersche-Weyersche Dampf-Brennapparat die Zeit überdauert. Wie das folgende Foto belegt, wird in der Schweiz bis heute nach genau dem gleichen Prinzip Schnaps gebrannt. Das Bild habe ich auf der Website der Eidgenössischen Zollverwaltung stibitzt. Leider weiß ich nicht, wer das Foto gemacht hat oder wem die Anlage gehört. Aber die Ähnlichkeit dieser fahrbaren Lohnbrennerei  mit der Moonshine-Destille aus dem nördlichen Georgia und der Dampf-Brenn-Anlage von Glauber ist frappierend. (Bild 9)


Bild 9: fahrbare, dampfbetriebene Lohnbrennerei aus der Schweiz mit zwei hölzernen Brennblasen (bzw. Retorten), zwei Doublern und einem Kühlfass

Ein schönes Video über eine hölzerne Dampfbrennanlage aus der Schweiz findet ihr [hier].

Heute ist in der Karibik nur noch eine einzige hölzerne Pot-Still-Anlage bekannt: Sie steht in der Diamond Distillery in Guyana (siehe Bild 10). In diesem Video [hier] könnt ihr einen kurzen Blick darauf werfen.


Bild 10: Hölzerne Pot Still der Diamond Distilley, Screenshot

 
1670 – Pennsylvanien

Spätestens jetzt ist es an der Zeit, dass wir einen genaueren Blick auf jene deutschsprachigen Einwanderer werfen, die damals nach Amerika gezogen sind. Es waren zumeist Protestanten, insbesondere Mennoniten, Amische und Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine, die ab 1670 nach Pennsylvanien auswanderten und sich in der Region um die Städte  Allentown, Hershey, Lancaster, Reading und York niederließen.

Ihr Herkunftsgebiet war weit verstreut und erstreckte sich von der Schweiz über das gesamte Rheintal bis nach Holland. Auch aus Böhmen und Mähren stammten viele von ihnen. Sie alle vereinte die Zugehörigkeit zum deutschen Sprachraum und die protestantische Religion. 

Zu diesem Zeitpunkt waren die Schriften des Pfarrers Coleri in protestantischen Kreisen sehr populär, und auch Bücher von Crescenzi und Matthioli sowie die in Amsterdam gedruckten Werke von Johann Rudolf Glauber waren zu dieser Zeit weit verbreitet. Viele dieser protestantischen, deutschsprachigen Einwanderer brachten ihre Destillierkenntnisse mit in die neue Welt, wo sie alsbald mit der Destillation von Obstschnaps, Rum und Roggenwhisky begannen. 

Über die Brennapparate, die sie dazu benutzten, wissen wir heute nichts mehr. Doch Kupfer war in den Kolonien knapp, und Holz gab es in Pennsylvanien und den angrenzenden Appalachen im Überfluss. Wurde der berühmte Monongahela-Rye Whisky der deutschen Einwanderer ursprünglich auf Dampfbrennblasen aus Holz gebrannt? Bis heute gibt es keinerlei Untersuchungen dazu.

Alles, was man für die Glaubersche Dampf-Anlage brauchte, war ein Dampfkocher, einige Fässer und ein paar Meter Kupferrohr. Um unerwünschte Fuselöle aus dem fertigen Destillat zu entfernen, gab es verschiedene Methoden. 1785 perfektinierte Tobias Lowitz ein Verfahren, bei dem der Brand  durch Holzkohle gefiltert wurde.



Die Holzkohlefilterung ist keine Erfindung von Jack Daniels. Sie wurde jahrhundertelang in Deutschland, den Appalachen und in Kanada praktiziert. Wo immer man Holz im Überfluss hatte, war die Dampfdestillation mit Brennapparaten aus Holz und anschließender Filtration durch Holzkohle eine äußerst preiswerte und wirksame Destillationsmethode. Wer keine Holzkohle hatte, konnte auch Kohlenstaub nehmen.

Bis heute gibt es keine Untersuchungen dazu, wie sich die Dampf-Brennanlage nach Glauber und Weyer über die Siedlungen der deutschen, schweizerischen und holländischen Kolonisten in der neuen Welt verbreitet hat. Dass sie sich verbreitet hat, steht für mich außer Frage.

1827 - Fettercairn

Als sich in Schottland die Steuergesetze 1823 änderten, begannen auch die Schotten, sich für neue Destillations-Technologien zu interessieren. William Shand erhielt im August 1829 ein Patent für eine Anlage mit einer Pot Still, zwei Retorten und einem kleineren Rektifizierungs-Doubler für eine vierfache Destillation. Die Gefäße waren aus Holz gearbeitet, sie besaßen jedoch als Aufsatz einen Brennhelm aus Kupfer mit einer Rohrverlängerung.  

Shand, der ein Anwesen in der Nähe der Fettercairn-Distillery besaß, hatte die Idee zu dieser seltsamen Anlage aus Jamaika mitgebracht. Wie viele andere Schotten auch hatten die Shands auf den Sklavenfeldern in der Karibik ihr Glück gesucht und gefunden.

Von 1817 bis 1822 war William der Manager mehrerer Plantagen auf Jamaica. Williams Bruder John Shand hatte schon 1809 einige Zuckerrohrplantagen auf Jamaica erworben. Von dem erwirtschafteten Gewinn der Plantage kauften die Shands 1814 die Ländereien Burn und Arnhall bei Fettercairn. 

Shand verwendete dabei im Prinzip die gleiche Anlage, wie wir sie aus Georgia bereits kennen, und kombinierte eine hölzerne Dampfanlage mit einer schottischen Pot Still.  Nachdem er seine Anlage zum Patent angemeldet hatte, ließ er in London einen Prototyp bauen, die er dann auf der Kellitt’s Plantage in Clarendon montieren ließ. Zu seiner Überraschung war der mit dieser Anlage destillierte Rum jedoch fast ohne Aroma. 

Die Anlage destillierte so gründlich, dass alle Geschmacksbestandteile regelrecht „weg-destilliert“ worden waren. Statt einer Dreifach-Destillation, wie sie die Anlage in Georgia durchführte, hatte Shand durch die Kombination mit einer Pot-Still eine vierfach-Destillation betrieben. Die Alkoholausbeute seiner Anlage war enorm, aber der Geschmack hatte darunter gelitten. Shand entschied sich deshalb, die Anzahl der Retorten von drei auf zwei zu reduzieren. 

Auch in Schottland kam seine patentierte Anlage zum Einsatz. Sie ergab einen Whisky „frei von dem üblen Geruch, welchen man bei frisch destilliertem Whisky gewöhnlich bemerkt“, wie ein Zeitgenosse vermerkte, und wurde in der Gilcomston-Brennerei bei Aberdeen, in der Glenmurray Distillery bei Stirling sowie in der heute noch existierenden Fettercairn-Distillery errichtet. (siehe Bild 11)


Bild 11: kombinierte Kupfer- und Holz-Brennanlage von William Shand


1827 - Jamaica 

Fünf Jahre zuvor, 1823, beschrieb Thomas Roughley in seinem Buch „The Jamaica Planter‘s Guide“ noch eine klassische Destillieranlage mit einer Low Wine Still und einer Spirit Still (Rum Still), die in Direktbefeuerung und zwei getrennten Brennvorgängen bedient wurden, als Standard-Anlage. 

Eine Retorte oder einen Doubler erwähnt er mit keiner Silbe. Er empfiehlt stattdessen die schnellen, flachen Brennblasen der Rapid Distillation, die zu diesem Zeitpunkt in Schottland noch weit verbreitet waren und ein kostengünstiges Destillat herstellten, das jedoch qualitativ einen schlechten Ruf hatte.

War William Shand tatsächlich der erste gewesen, der auf Jamaica die schottische Pot Still mit der hölzernen Dampf-Destillationsanlage der deutschsprachigen Auswanderer kombiniert hatte? 

Vielleicht werden wir nie erfahren, wer diese Idee zum ersten Mal hatte, aber dieses deutsch-schottische Hochzeitspaar hat in der Folgezeit die Plantagen auf Jamaica im Sturm erobert. 

Schon bald sollte die kombinierte Brennanlage mit kupferner Pot Still und zwei hölzernen Retorten die Standard-Anlage in Jamaica werden.

[update: als kleiner Nebeneffekt konnte ich entdecken, dass William Shands Schwager, Hinton Spalting, schon sehr früh intensive Geschäftsbeziehungen mit Bremen unterhielt, wo er auch 1853 verstarb. Jamaica war für Deutschland ein wichtiger Rum-Lieferant].




2002- Moonshiners

Auch in anderen Regionen Mittel- und Nord-Amerikas lassen sich solche kombinierten Anlagen finden. Legendär ist beispielsweise die Brennanlage des amerikanischen Moonshiners Popcorn Sutton, bei der eine selbst gebaute kupferne Pot Still mit seitlicher Direktbefeuerung kombiniert wird mit einer hölzernen, dampfbefeuerten Retorte. (siehe Bild 12). 


Bild 12: Moonshiner-Legende Popcorn Sutton mit seiner kombinierten Brennanlage, 2002. Film-Screenshot.

Fazit:

Die einzigartigen Brennblasen Jamaicas entstanden durch eine ganz besondere deutsch-schottische  Liaison von zwei verschiedenen Brenn-Anlagen: auf der einen Seite der schottische Bräutigam in Form einer direkt befeuerten kupfernen Pot Still, auf der anderen Seite die deutschstämmige Braut, deren Ursprung in der Hofapotheke einer deutschen Gräfin lag und die von Frankfurt über Amsterdam zusammen mit protestantischen Glaubensflüchtlingen in Nordamerika eine neue Heimat fand und durch die Moonshiner der Appalachen unsterblichen Ruhm erlangte. 

Das Holz hat man inzwischen durch Kupfer ersetzt, doch man kann den Ursprung dieses ungewöhnlichen Hochzeits-Paares der Destillierkunst überdeutlich erkennen. 

Heute wird diese Art der Brenn-Anlage auf Jamaica noch immer in den Brennereien Hampden, Long Pond, Mony Musk und Worthy Park benutzt.  

Auf Barbados hat sich in der Mount Gay Distillery eine solche Anlage erhalten. Und bei der Diamnods Distillery steht noch immer eine dampfbetriebene Brennblase aus Holz. 

Der unabhängige italienische Rum-Abfüller Velier hat mit den Etiketten zu seiner Serie "Habitation Velier" den schönsten Brennblasen der Karibik ein kleines Denkmal gesetzt.

Der Anteil, den deutschsprachige Erfinder und Auswanderer an diesem Hochzeits-Paar der Brennanlagen haben, wird jedoch in der Fachwelt völlig ignoriert.


Hampden, Jamaica. Flaschenetikett der Abfüllungs-Reihe von Habitation Velier.


Worthy Park, Jamaica. Flaschenetikett der Abfüllungs-Reihe von Habitation Velier.
 . 




Monymusk, Jamaica. Flaschenetikett der Abfüllungs-Reihe von Habitation Velier.


Long Pond, Jamaica. Flaschenetikett der Abfüllungs-Reihe von Habitation Velier.


Mount Gay, Barbados. Flaschenetikett der Abfüllungs-Reihe von Habitation Velier.
 











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