Terroir matters - Waterford und die Mission des Mark Reynier
Wenn Mark Reynier über Whisky redet, ist er kaum noch zu bremsen. Es sprudelt aus ihm heraus, ohne Punkt, ohne Komma, ohne Pause, als hätte er zwanzig Jahre lang nur darauf gewartet, endlich über dieses eine Thema reden zu können: Whisky und Terroir. Die Reaktionen der Whisky-Community sind zwiespältig, und reichen von brüsker Ablehnung bis überschwänglicher Begeisterung. Doch Mark Reynier ist mehr als nur ein kluger Marketing-Stratege. Er ist vor allem ein Visionär. Wer ihm zuhört, erkennt schnell: seine Ideen haben das Potential, die Whisky-Welt zu verändern. Doch die große Frage ist - wollen wir Kunden das überhaupt?
Mark Reynier muss man eigentlich nicht mehr vorstellen. Der ehemalige Teilhaber der Bruichladdich Distillery, Mitbegründer der Firma Murray McDavid und Gründer der irischen Waterford Distillery hat eine ebenso lange wie steile Karriere hinter sich und in der Whisky-Szene gibt es wohl niemanden, der ihn nicht kennt.
Sein Handwerk gelernt hat Reynier in einem anderen Bereich: sein Vater war Besitzer der Wein-Import-Firma J.B. Reynier Wines & Spirits, und Reynier verbrachte die ersten Jahre seines Berufslebens damit, Weine aus Bordeaux und dem Burgund abzufüllen, zu etikettieren und zu verkaufen. Und mehr noch: Reynier hat auch Wein produziert, er war Besitzer eines Chablis Grand Cru Weinguts in Vaudesier.
Vielleicht ist das der Grund, warum ihm seit Jahren der Begriff des Terroir so sehr am Herzen liegt. In Frankreich gehört das Terroir seit über hundert Jahren fest zum Repertoire der Weinbauern, um Weingüter und Weinlagen zu klassifizieren. Denn beim Wein ist es nicht egal, wo die Traube herkommt. Klima, Sonneneinstrahlung, Bodenrelief, Bodenbeschaffenheit, und Bodenfeuchtigkeit haben Auswirkungen auf den Geschmack der Trauben, und für Spitzenweine braucht auch der beste Kellermeister Spitzenlagen.
Beim Whisky gibt es diese Tradition nicht. Die Frage nach dem Terroir hat in Schottland zuvor niemand gestellt - und vielleicht will man diese Frage auch nicht stellen. Denn vor allem in den Highlands hat die Gerstenernte in den vergangenen zweihundert Jahren selten ausgereicht, um den Whisky-Bedarf decken zu können.
Schon 1831 haben die Besitzer der damaligen Daill Distillery auf Islay regelmäßig Gerste aus den Lowlands und dem Baltikum erworben, weil die Erntemenge auf Islay zu gering waren; die Besitzer der Lossit Distillery auf Islay haben Gerste von Colonsay dazu gekauft. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert. Der globale Bedarf ist enorm, und schottische Brennereien müssen oft ihre Gerste überregional erwerben. Kein Wunder also, dass die Frage nach der Herkunft der Gerste in Schottland nicht unbedingt auf offene Ohren stößt.
Wenn es um Terroir geht, wiegeln viele der schottischen Produzenten nur ab: der Standort der Gerste habe zwar große Auswirkungen auf die Ertragshöhe, aber nicht auf den Geschmack. Doch genau das will Mark Reynier mit seiner Waterford Distillery widerlegen.
Dass die Befindlichkeiten der großen Whisky-Konzerne einen Mark Reynier nicht davon abhalten können, seine eigenen Wege zu gehen, hat er schon während seiner Zeit bei Bruchladdich bewiesen, als er mit den Bere-Barley-Abfüllungen den Focus auf den Rohstoff Gerste legte.
In seiner neuen Waterford Distillery in Irland kann er den auf Islay bereits eingeschlagenen Weg nun konsequent weiter gehen. Seit 2015 ist die Waterford Distillery in Betrieb, und seit kurzem sind endlich die ersten Abfüllungen auf dem Markt.
Dank der verstärkten Online-Präsenz, die sich seit dem Corona-Lock-Down in der Whisky-Szene entwickelt hat, ist Mark Reynier in den vergangenen Wochen auf zahlreichen Online-Seiten zu Gast gewesen, z.B. bei den Whisky-Experts oder WordsonWhiskey oder Whiskycast, um sein neues Whisky-Credo zu verbreiten und über Gerste zu reden.
Wer sich die Zeit nimmt, um ihm zuzuhören, wird feststellen, dass Reynier mehr im Sinn hat als nur ein paar kernige Marketing-Sprüche zu klopfen. Mit missionarischem Eifer erklärt er, demonstriert, belegt, führt aus, und versucht zu überzeugen, dass Terroir beim Whisky kein Hirngespinst ist. Man könne sagen, He has a dream - er hat einen Traum - doch ein Träumer ist er nicht.
Und Mark Reynier kann rechnen. Als Diageo 2013 die Guiness-Brauerei in Waterford schloss, hatte sie einen geschätzten Marktwert von ca. 40 Millionen Dollar. Die hochmoderne Anlage war zu diesem Zeitpunkt noch keine 10 Jahre in Betrieb gewesen.
2014 hat Reynier über seine Firma Renegade Spirits die Waterford Brewery zum Schnapper-Preis von 7,2 Millionen Dollar erwerben können. Mit zusätzlichen Investitionen von 2,4 Millionen Dollar und den gebrauchten Potstill-Brennblasen der ehemaligen Inverleven Malt Distillery konnte Reynier innerhalb von kürzester Zeit eine Brennerei auf die Beine stellen, deren technologische Ausstattung ihm ganz neue Möglichkeiten der Qualitäts- und Aromen-Kontrolle eröffnete.
Insgesamt 103 Farmen haben inzwischen an seinem Programm teilgenommen, deren Ernte farmweise und sortenrein weiterverarbeitet wurden. Je 140 Tonnen Gerste pro Farm werden zunächst in der sogenannten "Kathedrale" nach Farm getrennt gelagert und getrocknet, und anschließend in einer kleinen Boby-Mälzerei aus den 60er Jahren bei der Firma Minch Malt auch nach Farmen getrennt gemälzt. Jede Woche wird die Gerste einer anderen Farm weiterverarbeitet und destilliert. Macht insgesamt 40 Farmen pro Jahr und 200 Fässer pro Farm.
Um das ganze Ausmaß des Terroir-Programms zu verstehen, muss man sich das erweiterte Team anschauen, mit dem Reynier derzeit zusammenarbeitet. Da wäre zunächst einmal Dr. Dustin Herb, Spezialist für Pflanzenzucht an der Oregon State University, dessen Schwerpunkt die Auswirkungen des Gen-Materials von Gerste auf den Geschmack bei der Bierproduktion ist und der vor allem die Auswirkungen der Gerstensorte auf die Aromenbildung analysiert.
Fast noch wichtiger dürfte die Zusammenarbeit mit Dr. Harry Riffkin sein. Ebenso wie der inzwischen verstorbene Whisky-Experte Dr. Jim Swan war Riffkin jahrelang am Scotch Whisky Research Institute in leitender Position tätig, ehe die beiden Männer 1993 gemeinsam die Firma Tatlock & Thomson übernahmen, deren analytische Arbeit Wein, Whisky und Bier umfasst. Einer der Projektschwerpunkte war in den vergangenen Jahren die Untersuchung von Holz für die Fassherstellung. Riffkin gilt derzeit als weltbester Spezialist für die Erforschung der Aromenbildung im Whisky.
Wissenschaftlich betreut und begleitet wird das Projekt derzeit von der irischen Cork University, die mit ihren Messgeräten der Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung (GS-MS) von allen Farmen Destillationsproben erfasst und auswertet. Es handelt sich dabei weltweit um die erste Studie zur Auswirkung von Boden- und Wetterfaktoren auf geschmacksbildende Komponenten in Gerste und Whisky.
Die ersten Ergebnisse der bisherigen Studie sollten im Mai auf der Distillers Conference in Edinburgh vorgestellt werden. Leider musste die Konferenz wegen Covid-19 abgesagt werden. Die geplanten Konferenzbeiträge werden vermutlich Ende des Jahres in gedruckter Form vorliegen.
Bis dahin müssen wir uns damit begnügen, was uns Reynier in den diversen online-Interviews verraten hat. Noch ist die Studie nicht abgeschlossen, doch schon jetzt scheint klar zu sein, dass beim Einsatz von alten Gerstensorten der vergangenen hundert Jahre so gut wie keine Unterschiede in der Aromenbildung nachgewiesen werden konnten, zur großen Überraschung und Enttäuschung aller Beteiligten. Das genetische Material der alten Sorten weist scheinbar eine zu große Ähnlichkeit mit den modernen Sorten auf, als dass sich Unterschiede im Geschmack manifestieren könnten.
Anders sieht es bei den Boden- und Wetterbedingungen aus: hier konnten große Unterschiede nachgewiesen werden, sowohl bezüglich unterschiedlicher Bodenverhältnisse als auch bezüglich unterschiedlicher Wetterbedingungen im Verlaufe von drei Jahren.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse haben Mark Reynier bisher also recht gegeben: das Terroir ist geschmacksbildend, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass menschliche Nasen und Zungen den Unterschied deutlich wahrnehmen können.
Was wird diese Erkenntnis für die Zukunft bedeuten?
Die Möglichkeiten, die Reyniers Terroir-Ansatz eröffnet, sind faszinierend. Schon bald könnte eine Bodenkarte für ganz Irland erstellt werden, in der das Gersten-Aroma-Profil für jede Farm kartiert ist. Whisky-Produzenten könnten sich ihre Lieferanten je nach Aromen-Bedarf maßgeschneidert aussuchen, Farmer könnten ihre Anbauflächen gezielt einsetzen, Grand Cru Lagen für Gerste könnten ausgewiesen werden. Ist ein solches Szenario tatsächlich realisierbar? In wenigen Jahren werden wir mehr wissen.
Noch mag man über solche Ideen lächeln. Doch vor 35 Jahren wurden auch die ersten Versuche mit Fass-Finishes als albern belächelt. Wood Management war damals kein Thema, über die Herkunft des Fasses hat sich Anfang der 1970er Jahre kaum jemand wirklich Gedanken gemacht und Fässer wurden mitunter bis zu acht mal belegt. Erst mit Beginn der 1980er Jahre begann allmählich ein Umdenken. Der Verbot von Paxarette zu Beginn der 1990er Jahre hat schließlich die Frage nach den Holzaromen vollends auf die Agenda gebracht.
Nach jahrzehntelangen, intensiven Forschungsarbeiten durch das Pentland Scotch Whisky Research Instiute und dessen Nachfolger, dem Scotch Whisky Research Institute, wissen wir heute so unglaublich viel über die Aromenbildung durch das Fass, dass uns das Konzept des Wood Managements ganz selbstverständlich erscheint, und eine Brennerei, die nicht mindestens fünf mal im Jahr mit spektakulären Rotwein-, Amarone-, Sauternes-, Rum-, Mesqual-, Tee- oder Kastanien-Reifungen aufwarten kann, gilt als langweilig. Wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Whisky-Aroma-Revolution rund um das Holz und das Fass erlebt, die beispiellos ist. Niemand von uns hätte sich vor 35 Jahren diese Entwicklung vorstellen können.
Doch am Horizont tauchen bereits die nächsten dunklen Gewitterwolken auf. Der hohe Bedarf an erstklassigen Fässern in Kombination mit einer rasant wachsenden Nachfrage nach erstklassigen Sonderabfüllungen wird in den kommenden Jahren zu einem zunehmenden Konkurrenzkampf um Fässer führen. Schon jetzt sind alte Sherry-Fässer kaum noch zu haben, viele Brennereien sind dazu übergegangen, ihre Fässer selbst für kurze Zeit mit Sherry zu befüllen, um die Verfügbarkeit sicher zu stellen. Da mag die Idee, die Aromen schon eine Produktionsstufe früher zu kontrollieren, gar nicht so abwegig erscheinen.
Vor allem in Irland, wo seit Jahrzehnten der Markt einerseits von nur zwei Groß-Produzenten beherrscht wird, und andererseits derzeit viele kleine, junge Brennereien im Aufbau begriffen sind, könnte das Konzept des Terroir neue Möglichkeiten bieten. Denn im Kampf um die Ressource "Fass" wird es in den kommenden Jahren zu einem immer schärferen Verdrängungs- und Konkurrenzkampf kommen, bei dem die international agierenden, kapitalstarken Großkonzerne den kleineren, privat geführten Brennereien nur wenig Spielraum lassen werden. Letztere werden Nischen suchen und neue Wege gehen müssen, um sich auf Dauer in diesem Kampf um die Marktanteile behaupten zu können.
Und auch gegen die Konkurrenz aus Schottland wird sich der irische Whisky in Zukunft stärker profilieren müssen als es bisher nötig gewesen ist. Die Terroir-Karte könnte vor allem in Irland den kleinen Craft-Distilleries helfen, ein eigenständiges Profil zu entwickeln.
Mark Reynier lässt keinen Zweifel daran, dass er auch in Zukunft auf die Terroir-Karte setzen wird. Seine Visionen sind klar: er will, ähnlich den Weinbauern, große Jahrgangswhiskys und Brennerei-Cuvees erschaffen und den "tiefgründigsten" (most profound) Whisky Irlands herausbringen.
Nachdem das Credo "It's Age that Matters" abgelöst wurde von dem Credo "It's the Wood that matters", könnte also schon bald die dritte Phase eingeläutet werden: "It's the Terroir that matters". Noch ist all das Zukunftsmusik.
Die große Frage lautet heute: Where to from here - und wohin jetzt? Vielleicht werden wir in den nächsten zwei Jahrzehnten eine vergleichbare revolutionäre Entwicklung rund um die besten Anbaulagen, Single-Farm-Abfüllungen, Grand Cru Ausgaben und großartige Jahrgangswhiskys erleben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Vielleicht auch nicht. Vielleicht werden wir dann alle nur noch Rum und Cognac trinken.
Letztendlich sind es wir Kunden, die mit ihrem Geldbeutel entscheiden werden, welche Konzepte sich durchsetzen werden und welche nicht. In 20 Jahren werden wir wissen, wo die Reise hinging, und welche Konzepte uns Verbraucher in den kommenden Jahren begeistern werden und welche nicht. Aber Whisky war noch nie ein schnelles Geschäft....
... und nachdem ich jetzt so viel über Mark Reynier und seine Waterford Distillery geschrieben habe, wollt ihr sicher auch wissen, wie der Whisky denn schmeckt und ob ein unterschiedliches Terroir tatsächlich zu einem anderen Geschmack führt. Der deutsche Importeur hat mir dankenswerterweise ein Probe-Set zur Verfügung gestellt, und meine Tasting Notes und meine Eindrücke werde ich euch morgen in meinem nächsten Post verraten.
Mark Reynier, Waterford Distillery. Pressefoto. |
Mark Reynier muss man eigentlich nicht mehr vorstellen. Der ehemalige Teilhaber der Bruichladdich Distillery, Mitbegründer der Firma Murray McDavid und Gründer der irischen Waterford Distillery hat eine ebenso lange wie steile Karriere hinter sich und in der Whisky-Szene gibt es wohl niemanden, der ihn nicht kennt.
Sein Handwerk gelernt hat Reynier in einem anderen Bereich: sein Vater war Besitzer der Wein-Import-Firma J.B. Reynier Wines & Spirits, und Reynier verbrachte die ersten Jahre seines Berufslebens damit, Weine aus Bordeaux und dem Burgund abzufüllen, zu etikettieren und zu verkaufen. Und mehr noch: Reynier hat auch Wein produziert, er war Besitzer eines Chablis Grand Cru Weinguts in Vaudesier.
Vielleicht ist das der Grund, warum ihm seit Jahren der Begriff des Terroir so sehr am Herzen liegt. In Frankreich gehört das Terroir seit über hundert Jahren fest zum Repertoire der Weinbauern, um Weingüter und Weinlagen zu klassifizieren. Denn beim Wein ist es nicht egal, wo die Traube herkommt. Klima, Sonneneinstrahlung, Bodenrelief, Bodenbeschaffenheit, und Bodenfeuchtigkeit haben Auswirkungen auf den Geschmack der Trauben, und für Spitzenweine braucht auch der beste Kellermeister Spitzenlagen.
Beim Whisky gibt es diese Tradition nicht. Die Frage nach dem Terroir hat in Schottland zuvor niemand gestellt - und vielleicht will man diese Frage auch nicht stellen. Denn vor allem in den Highlands hat die Gerstenernte in den vergangenen zweihundert Jahren selten ausgereicht, um den Whisky-Bedarf decken zu können.
Schon 1831 haben die Besitzer der damaligen Daill Distillery auf Islay regelmäßig Gerste aus den Lowlands und dem Baltikum erworben, weil die Erntemenge auf Islay zu gering waren; die Besitzer der Lossit Distillery auf Islay haben Gerste von Colonsay dazu gekauft. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert. Der globale Bedarf ist enorm, und schottische Brennereien müssen oft ihre Gerste überregional erwerben. Kein Wunder also, dass die Frage nach der Herkunft der Gerste in Schottland nicht unbedingt auf offene Ohren stößt.
Geschmacksproben, Waterford Distillery. Foto: MM |
Wenn es um Terroir geht, wiegeln viele der schottischen Produzenten nur ab: der Standort der Gerste habe zwar große Auswirkungen auf die Ertragshöhe, aber nicht auf den Geschmack. Doch genau das will Mark Reynier mit seiner Waterford Distillery widerlegen.
Dass die Befindlichkeiten der großen Whisky-Konzerne einen Mark Reynier nicht davon abhalten können, seine eigenen Wege zu gehen, hat er schon während seiner Zeit bei Bruchladdich bewiesen, als er mit den Bere-Barley-Abfüllungen den Focus auf den Rohstoff Gerste legte.
In seiner neuen Waterford Distillery in Irland kann er den auf Islay bereits eingeschlagenen Weg nun konsequent weiter gehen. Seit 2015 ist die Waterford Distillery in Betrieb, und seit kurzem sind endlich die ersten Abfüllungen auf dem Markt.
Dank der verstärkten Online-Präsenz, die sich seit dem Corona-Lock-Down in der Whisky-Szene entwickelt hat, ist Mark Reynier in den vergangenen Wochen auf zahlreichen Online-Seiten zu Gast gewesen, z.B. bei den Whisky-Experts oder WordsonWhiskey oder Whiskycast, um sein neues Whisky-Credo zu verbreiten und über Gerste zu reden.
Wer sich die Zeit nimmt, um ihm zuzuhören, wird feststellen, dass Reynier mehr im Sinn hat als nur ein paar kernige Marketing-Sprüche zu klopfen. Mit missionarischem Eifer erklärt er, demonstriert, belegt, führt aus, und versucht zu überzeugen, dass Terroir beim Whisky kein Hirngespinst ist. Man könne sagen, He has a dream - er hat einen Traum - doch ein Träumer ist er nicht.
Und Mark Reynier kann rechnen. Als Diageo 2013 die Guiness-Brauerei in Waterford schloss, hatte sie einen geschätzten Marktwert von ca. 40 Millionen Dollar. Die hochmoderne Anlage war zu diesem Zeitpunkt noch keine 10 Jahre in Betrieb gewesen.
2014 hat Reynier über seine Firma Renegade Spirits die Waterford Brewery zum Schnapper-Preis von 7,2 Millionen Dollar erwerben können. Mit zusätzlichen Investitionen von 2,4 Millionen Dollar und den gebrauchten Potstill-Brennblasen der ehemaligen Inverleven Malt Distillery konnte Reynier innerhalb von kürzester Zeit eine Brennerei auf die Beine stellen, deren technologische Ausstattung ihm ganz neue Möglichkeiten der Qualitäts- und Aromen-Kontrolle eröffnete.
Gerste. Waterford Distillery. Pressefoto. |
Insgesamt 103 Farmen haben inzwischen an seinem Programm teilgenommen, deren Ernte farmweise und sortenrein weiterverarbeitet wurden. Je 140 Tonnen Gerste pro Farm werden zunächst in der sogenannten "Kathedrale" nach Farm getrennt gelagert und getrocknet, und anschließend in einer kleinen Boby-Mälzerei aus den 60er Jahren bei der Firma Minch Malt auch nach Farmen getrennt gemälzt. Jede Woche wird die Gerste einer anderen Farm weiterverarbeitet und destilliert. Macht insgesamt 40 Farmen pro Jahr und 200 Fässer pro Farm.
Um das ganze Ausmaß des Terroir-Programms zu verstehen, muss man sich das erweiterte Team anschauen, mit dem Reynier derzeit zusammenarbeitet. Da wäre zunächst einmal Dr. Dustin Herb, Spezialist für Pflanzenzucht an der Oregon State University, dessen Schwerpunkt die Auswirkungen des Gen-Materials von Gerste auf den Geschmack bei der Bierproduktion ist und der vor allem die Auswirkungen der Gerstensorte auf die Aromenbildung analysiert.
Fast noch wichtiger dürfte die Zusammenarbeit mit Dr. Harry Riffkin sein. Ebenso wie der inzwischen verstorbene Whisky-Experte Dr. Jim Swan war Riffkin jahrelang am Scotch Whisky Research Institute in leitender Position tätig, ehe die beiden Männer 1993 gemeinsam die Firma Tatlock & Thomson übernahmen, deren analytische Arbeit Wein, Whisky und Bier umfasst. Einer der Projektschwerpunkte war in den vergangenen Jahren die Untersuchung von Holz für die Fassherstellung. Riffkin gilt derzeit als weltbester Spezialist für die Erforschung der Aromenbildung im Whisky.
Wissenschaftlich betreut und begleitet wird das Projekt derzeit von der irischen Cork University, die mit ihren Messgeräten der Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung (GS-MS) von allen Farmen Destillationsproben erfasst und auswertet. Es handelt sich dabei weltweit um die erste Studie zur Auswirkung von Boden- und Wetterfaktoren auf geschmacksbildende Komponenten in Gerste und Whisky.
Geschmacksproben, Waterford Distillery. Foto: MM |
Die ersten Ergebnisse der bisherigen Studie sollten im Mai auf der Distillers Conference in Edinburgh vorgestellt werden. Leider musste die Konferenz wegen Covid-19 abgesagt werden. Die geplanten Konferenzbeiträge werden vermutlich Ende des Jahres in gedruckter Form vorliegen.
Sample-Archiv Waterford Distillery. Foto: Twitter
Bis dahin müssen wir uns damit begnügen, was uns Reynier in den diversen online-Interviews verraten hat. Noch ist die Studie nicht abgeschlossen, doch schon jetzt scheint klar zu sein, dass beim Einsatz von alten Gerstensorten der vergangenen hundert Jahre so gut wie keine Unterschiede in der Aromenbildung nachgewiesen werden konnten, zur großen Überraschung und Enttäuschung aller Beteiligten. Das genetische Material der alten Sorten weist scheinbar eine zu große Ähnlichkeit mit den modernen Sorten auf, als dass sich Unterschiede im Geschmack manifestieren könnten.
Anders sieht es bei den Boden- und Wetterbedingungen aus: hier konnten große Unterschiede nachgewiesen werden, sowohl bezüglich unterschiedlicher Bodenverhältnisse als auch bezüglich unterschiedlicher Wetterbedingungen im Verlaufe von drei Jahren.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse haben Mark Reynier bisher also recht gegeben: das Terroir ist geschmacksbildend, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass menschliche Nasen und Zungen den Unterschied deutlich wahrnehmen können.
Was wird diese Erkenntnis für die Zukunft bedeuten?
Gerstenernte Waterford Distillery. Pressefoto |
Die Möglichkeiten, die Reyniers Terroir-Ansatz eröffnet, sind faszinierend. Schon bald könnte eine Bodenkarte für ganz Irland erstellt werden, in der das Gersten-Aroma-Profil für jede Farm kartiert ist. Whisky-Produzenten könnten sich ihre Lieferanten je nach Aromen-Bedarf maßgeschneidert aussuchen, Farmer könnten ihre Anbauflächen gezielt einsetzen, Grand Cru Lagen für Gerste könnten ausgewiesen werden. Ist ein solches Szenario tatsächlich realisierbar? In wenigen Jahren werden wir mehr wissen.
Noch mag man über solche Ideen lächeln. Doch vor 35 Jahren wurden auch die ersten Versuche mit Fass-Finishes als albern belächelt. Wood Management war damals kein Thema, über die Herkunft des Fasses hat sich Anfang der 1970er Jahre kaum jemand wirklich Gedanken gemacht und Fässer wurden mitunter bis zu acht mal belegt. Erst mit Beginn der 1980er Jahre begann allmählich ein Umdenken. Der Verbot von Paxarette zu Beginn der 1990er Jahre hat schließlich die Frage nach den Holzaromen vollends auf die Agenda gebracht.
Nach jahrzehntelangen, intensiven Forschungsarbeiten durch das Pentland Scotch Whisky Research Instiute und dessen Nachfolger, dem Scotch Whisky Research Institute, wissen wir heute so unglaublich viel über die Aromenbildung durch das Fass, dass uns das Konzept des Wood Managements ganz selbstverständlich erscheint, und eine Brennerei, die nicht mindestens fünf mal im Jahr mit spektakulären Rotwein-, Amarone-, Sauternes-, Rum-, Mesqual-, Tee- oder Kastanien-Reifungen aufwarten kann, gilt als langweilig. Wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Whisky-Aroma-Revolution rund um das Holz und das Fass erlebt, die beispiellos ist. Niemand von uns hätte sich vor 35 Jahren diese Entwicklung vorstellen können.
Doch am Horizont tauchen bereits die nächsten dunklen Gewitterwolken auf. Der hohe Bedarf an erstklassigen Fässern in Kombination mit einer rasant wachsenden Nachfrage nach erstklassigen Sonderabfüllungen wird in den kommenden Jahren zu einem zunehmenden Konkurrenzkampf um Fässer führen. Schon jetzt sind alte Sherry-Fässer kaum noch zu haben, viele Brennereien sind dazu übergegangen, ihre Fässer selbst für kurze Zeit mit Sherry zu befüllen, um die Verfügbarkeit sicher zu stellen. Da mag die Idee, die Aromen schon eine Produktionsstufe früher zu kontrollieren, gar nicht so abwegig erscheinen.
Vor allem in Irland, wo seit Jahrzehnten der Markt einerseits von nur zwei Groß-Produzenten beherrscht wird, und andererseits derzeit viele kleine, junge Brennereien im Aufbau begriffen sind, könnte das Konzept des Terroir neue Möglichkeiten bieten. Denn im Kampf um die Ressource "Fass" wird es in den kommenden Jahren zu einem immer schärferen Verdrängungs- und Konkurrenzkampf kommen, bei dem die international agierenden, kapitalstarken Großkonzerne den kleineren, privat geführten Brennereien nur wenig Spielraum lassen werden. Letztere werden Nischen suchen und neue Wege gehen müssen, um sich auf Dauer in diesem Kampf um die Marktanteile behaupten zu können.
Und auch gegen die Konkurrenz aus Schottland wird sich der irische Whisky in Zukunft stärker profilieren müssen als es bisher nötig gewesen ist. Die Terroir-Karte könnte vor allem in Irland den kleinen Craft-Distilleries helfen, ein eigenständiges Profil zu entwickeln.
Mark Reynier lässt keinen Zweifel daran, dass er auch in Zukunft auf die Terroir-Karte setzen wird. Seine Visionen sind klar: er will, ähnlich den Weinbauern, große Jahrgangswhiskys und Brennerei-Cuvees erschaffen und den "tiefgründigsten" (most profound) Whisky Irlands herausbringen.
Nachdem das Credo "It's Age that Matters" abgelöst wurde von dem Credo "It's the Wood that matters", könnte also schon bald die dritte Phase eingeläutet werden: "It's the Terroir that matters". Noch ist all das Zukunftsmusik.
Die große Frage lautet heute: Where to from here - und wohin jetzt? Vielleicht werden wir in den nächsten zwei Jahrzehnten eine vergleichbare revolutionäre Entwicklung rund um die besten Anbaulagen, Single-Farm-Abfüllungen, Grand Cru Ausgaben und großartige Jahrgangswhiskys erleben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Vielleicht auch nicht. Vielleicht werden wir dann alle nur noch Rum und Cognac trinken.
Letztendlich sind es wir Kunden, die mit ihrem Geldbeutel entscheiden werden, welche Konzepte sich durchsetzen werden und welche nicht. In 20 Jahren werden wir wissen, wo die Reise hinging, und welche Konzepte uns Verbraucher in den kommenden Jahren begeistern werden und welche nicht. Aber Whisky war noch nie ein schnelles Geschäft....
... und nachdem ich jetzt so viel über Mark Reynier und seine Waterford Distillery geschrieben habe, wollt ihr sicher auch wissen, wie der Whisky denn schmeckt und ob ein unterschiedliches Terroir tatsächlich zu einem anderen Geschmack führt. Der deutsche Importeur hat mir dankenswerterweise ein Probe-Set zur Verfügung gestellt, und meine Tasting Notes und meine Eindrücke werde ich euch morgen in meinem nächsten Post verraten.
Geschmacksproben, Waterford Distillery. Foto: MM |
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