Hintergrund: Der steinige Weg von Whistlepig (mit Tasting Notes)

Nur wenige Marken haben die amerikanische Whiskey-Szene im vergangenen Jahrzehnt so gerockt wie Whistle Pig, deren 100%-Rye Whiskey den traditionellen Monongahela-Rye als Vorbild hat. Seit diesem Monat sind die starken Rye-Whiskeys von Whistlepig wieder in Deutschland erhältlich, und die Markteinführung wurde durch ein Online-Event für Presse und Blogger begleitet. Als ich vor einigen Wochen ein Tasting-Paket erhielt, habe ich mich sehr gefreut - denn Whistlepig ist ein alter Bekannter.


Ein alter Bekannter

Vielleicht kann sich der ein oder andere von euch noch an Whistlepig erinnern. Ich glaube, es war um 2014, als Whistlepig schon einmal in Deutschland auf den Markt kam und für viel Begeisterung sorgte. 

Zum damaligen Zeitpunkt fegte eine regelrechte Rye-Hysterie durch die Bar-Szene in unserem Land. Die meisten amerikanischen  Brennereien hatten bis dahin nur Bourbon im Programm. Sazerac Rye, einer der wenigen Ryes, die es 2013 gab, war  permanent ausverkauft. Ich hatte damals monatelang vergeblich versucht, eine Flasche zu ergattern. 

Dann kamen schlagartig neue Rye-Abfüllungen mit ultrahohem Roggenanteil bei uns auf den Markt, und eine war besser als die andere: James E. Pepper 1776 Rye, Bulleit Rye, Templeton Rye, Whistlepig Rye, Masterson Rye - ich war im Rye-Fieber und hab sie alle probiert. Was für ein toller Stoff das war!

Der Skandal

Die Ernüchterung kam schon bald. Der kanadische Whiskey-Blogger Davin De Ker-Gommeaux hat sich über die Entwicklung weitaus weniger gefreut als die deutschen Barkeeper. Was nicht am Whiskey lag, der war superb. Ker-Gommeaux ärgerte sich über etwas anderes. Der Whiskey wurde von allen Firmen immer als "American Straight Rye" angepriesen. Doch das war er nicht. Der Whiskey kam ganz  häufig aus Kanada. In der Folgezeit wurde klar, dass all diese tollen Rye Whiskeys, die es plötzlich gab, nicht das Produkt von kleinen Craft-Distilleries waren, sondern überwiegend aus nur zwei Großbetrieben stammten: die US-amerikanische MGP in Indiana und Alberta Distillers in Canada.

Der Aufschrei der Whiskey-Community war laut. Am schlimmsten hat es damals Templeton erwischt. Die Brennerei musste sich 2015 vor Gericht wegen Verbrauchertäuschung verantworten. 

Das Problem war nicht die Qualität des Whiskeys, sondern Templetons Deklarierung auf dem Etikett als regionales Produkt aus Iowa. Der Whiskey stammte aber aus Indiana.

Die Geschichte schlug hohe Wellen und damals kamen zum ersten Mal Forderungen nach mehr Transparenz auf. Habe ich jetzt tatsächlich "Damals" gesagt? Meine Güte, das ist erst 6 Jahre her, aber in der Whisky-Welt hat sich das Rad seither so unglaublich schnell gedreht....

Brennblase bei Whistlepig. Bild PR.

Neuer Kurs

Auch die Whistlepig Distillery in Vermont blieb von den Diskussionen, die der Templeton-Fall auslöste, nicht unberührt. Seit 2010 hatte Firmengründer Raj Bhakta in Zusammenarbeit mit Dave Pickerell, dem ehemaligen Master Distiller von Maker's Mark, einen fantastischen 100%igen Rye-Whiskey aus Alberta eingekauft und unter eigenem Label vermarktet. 

Nach dem Gerichtsurteil gegen Templeton zog man bei Whistlepig Konsequenzen. 2015 schaffte man eine Brennblase an und baute die Farm zur Brennerei aus. Einerseits verfolgte man ein ehrgeiziges Fass-Management-Regime, um Rye aus Alberta und von MGP unter eigenem Label viele Jahre reifen zu können und ihn zu einem komplexen und tiefgründigen Whiskey der Extraklasse auszubauen. Raj war großer Fan von schottischem Whisky, und seine Vision war, auch Rye-Whisky über eine jahrelange Reifung zu einer komplexen Edelspirituose auszubauen, wie die Schotten das seit langem tun. Darüber hinaus wurde nun auch auf der Farm selbst Rye-Whiskey gebrannt, der als Field-to-Bottle-Abfüllung das Terroir-Konzept umsetzte. 

Schmerzhaft

Um die hohen Investitionskosten stemmen zu können, nahm Raj Bhakta weitere Kapitalgeber in seiner Firma auf. In der Folgezeit musste Raj eine ähnlich schmerzhafte Erfahrung machen wie die Gründer der Brennereien Kingsbarns und Balcones, die nach der Aufbau-Phase von ihren Kapital-Gebern aus der eigenen Firma hinaus gedrängt wurden. 

Drei Jahre dauerte der Kampf zwischen Raj und zwei der Vorstandsmitglieder und Geldgeber, die ihm unter anderem vorwarfen, dass er Marihuana rauche, betrunken Auto fahre und  die dafür sorgten, dass plötzlich eine Menge Geschichten über Raj in Umlauf kamen, die den Firmengründer in einem denkbar schlechten Licht dastehen lassen sollten. Im Januar 2019, nur zwei Monate nach dem überraschenden Tod von Dave Pickerell, gab Raj schließlich auf und hat die Firma endgültig verlassen. Seither widmet er sich altem Armagnac. 


Legacy

Dass es heute so viele tolle Rye-Whiskeys auf dem Markt gibt, haben wir Raj Bhakta und Dave Pickerell zu verdanken. 2010 haben die beiden Geld und Expertise zusammen gebracht und  als erste einen 10 Jahre alten 100%-Rye Whiskey aus Kanada unters Volk gebracht. 

Rye Whiskey war zu diesem Zeitpunkt so gut wie tot. Pickerell hatte die Fässer, die er in Alberta entdeckt hatte, zuvor mehreren Produzenten aus der Branche angeboten. Auch die damalige Beam Inc., Besitzer der Maker's Mark Distillery und Alberta Distillers, hatten keine Lust, ihr eigenes Zeug sinnvoll zu vermarkten. Und vermutlich hat Dave Pickerell das Herz geblutet bei dem Gedanken, dass diese Fässer irgendwann in Supermarkt-Blends landen würden.

Niemand wollte den kanadischen Rye Whiskey haben. Doch Raj Bhakta war verrückt genug, das finanzielle Risiko einzugehen. Raj und Dave haben Rye wieder zurück auf die Whiskey-Karte gebracht. Raj wollte einen Whiskey schaffen, der mit schottischem Whiskey in einer Liga spielen kann. Verrückte Idee? Veilleicht. Aber vielleicht auch eine zukunftsweisende Vision.

Whistle Pig hat seither immer wieder für Wellen gesorgt. Die Wahl der Marketing-Strategie war wohl nicht immer die Beste. Aber der Rye war immer gut.

Und jetzt ist Whistlepig also wieder hier. Lange Zeit war er in Deutschland vom Markt verschwunden. Ab Mitte diesen Monats wird er über LVMH in Deutschland vertrieben. 

LVMH

Seit letztem Jahr hat Moët Hennessy den Vertrieb von Whistle Pig in ausgewählten internationalen Märkten übernommen. Darüber hinaus hat Moët Hennessy eine Minderheitsbeteiligung an WhistlePig erworben. 

Das Engagement des Luxus-Konzerns LVMH kommt nicht von ungefähr. Mit Ardbeg und Glenmorangie befinden sich bereits zwei Brennereien im Besitz von LVMH, die über eine große Expertise im Bereich Fass-Management verfügen und deren Whiskys ein hohes Ansehen genießen.

Alters-Angabe

Wie es scheint, hat man die letzten Jahre bei Whistle Pig ein gutes Fass-Management betrieben und Bestände aufgebaut. Neben einer 10jährigen Variante gibt es auch einen 12 Jahre, einen 15 Jahre und einen 18 Jahre alten Rye. Ein Portfolio mit Alters-Statement ist für amerikanische Brennereien echt ein Ansage.  Junge Whiskeys gibt es derzeit wie Sand am Meer. Aber Whiskeys, die in kühlem Klima viele Jahre langsam gereift werden, sind eine andere Liga.



Herkunft

Inzwischen  kauft man die Whiskys nicht nur in Kanada ein. Neben Alberta Distillers steht auch MGP auf der Lieferanten-Liste, sowie einige andere Brennereien, die namentlich nicht genannt werden. Auf den eigenen Feldern, die zur Farm gehören, werden für die Farmhouse-Abfüllung die kanadischen Roggensorten Rifle und Musketeer angebaut, da man dem kanadischen Aroma-Profil so nahe wie möglich kommen will. 

Das Portfolio

Das Portfolio ist inzwischen halbwegs transparent und sinnvoll aufgebaut, und umfasst die folgenden Abfüllungen:

-  Piggyback Rye, 6 Jahre, 100% Rye. Der kleine Bruder von Whistlepig 10.

-  Farmstock Rye, Triple Terroir, aus eigener Produktion (aktuelle Rezeptur: 52% 3 Jahre alt, 31% 6 Jahre alt und 17% 10 Jahre alter Rye aus Alberta)

-  10 Jahre, 100% Rye, ein Blend aus verschiedenen Rye-Whiskeys, nachgreift in American Oak

-  12 Jahre, Nachreifung in Europäischen Weinfässern,

- 15 Jahre, Nachreifung in Fässern aus Vermount Estate Oak

- 18 Jahre, 2nd Edition, Mash-Bill 79% Rye, 15% Malted Rye und 6% Malted Barley

- diverse Sonderabfüllungen


 Tasting-Pack

Leider hatte ich keine Zeit, an dem Online-Event anlässlich der Markteinführung teilzunehmen, was sehr schade war, aber dankenswerter Weise hat mir die Marketing-Abteilung ein Tasting-Paket zugesand. 

Darin enthalten waren der Whistlepig 10, 12 und 15 Jahre. Da der älteste Rye aus eigener Produktion erst 6 Jahre ist, handelt es sich bei diesen Abfüllungen folglich um Rye-Whiskey aus Fremd-Produktion. 

Zu meinem großen Bedauern war der Farmstock Rye nicht im Tasting-Paket enthalten, ich hätte  sehr gerne den Whiskey aus der eigenen Produktion von Whistlepig probiert. 

2016 hatte ich den Whistle Pig 10 bereits im Blog besprochen. Ist er immer noch so gut? Ich bin gespannt.

Und hier meine Tasting-Notes:


10 Jahre, "Revolution", Blend of Straight Rye Whiskeys, 100% Proof (50% ABV) 

(Vermutlich Alberta Distillers)

Aroma: Überraschend fruchtbetont, mit Orange und Papaya, aber auch Nougat, Schokolade und Pfeffernüsse, dazu grüne Duftnoten wie Zitronenminze, Eukalyptus, Fichtennadeln und Thymian.
Geschmack: voller Körper, mit viel Fichtennadeln und Minze
Nachklang: lang, floral

Gesamteindruck: Inzwischen schon ein Klassiker. Ein bißchen gleicht er dem 10 Jahre alten Masterson's Rye, der aus der gleichen Quelle stammt. Doch wo jener viele Brot- und Leinsamen-Aromen hat, besticht der Whistlepig mit Pfeffernüssen. Er wirkt längst nicht mehr so robust wie vor 5 Jahren, und legt eine überraschende Komplexität an den Tag. Man hat dazu gelernt bei Whistlepig. Orange und Eukalyptus dominieren, Thymian, Pfeffernüsse und Nougataromen runden ihn ab und diese Mischung verleiht ihm einen distinguierten Charakter. Je länger ich ihn im Glas habe, desto besser gefällt mir die Pfeffernuss.

12 Jahre, "Old World Rye", Nachreifung in Europäischen Weinfässern, 43%ABV

63% Madeira Cask, 30% Sauternes Cask, 7% Port Csk; 


Aroma: Die Madeira-Fässer dominieren mit süßem Puderzucker, gebackenen Orangen und viel Schokolade. 
Geschmack: mild und würzig, mit einem starken Mundgefühl
Nachklang: lang und warm

Gesamteindruck: Das moderne Credo der Schotten ist derzeit "the Wood makes the Whisky". Wenn dann noch ein vernünftiges Alter dazu kommt, kann eigentlich nichts schiefgehen. Ich bin großer Fan von Madeira-Fassreifungen, und die süßen Aromen von gebackenen Orangen und Schokolade treffen genau meinen Sweet Spot. Das Finish in verschiedenen Weinfässern gbit diesem Rye eine Tiefe und Vinesse, wie man es von amerikanischen Whiskey sonst nicht kennt. Der "Old World Rye" kommt einem schottischen Whisky verdammt nahe - wenn ihr Fan von Single Malt seid, solltet ihr diesen Rye unbedingt einmal probieren.  

15 Jahre, "Avantgarde", Nachreifung in Fässern aus Vermount Estate Oak, 46% ABV

Aroma: wunderbar komplex. Karamell, Zitrusfrüchte, Eukalyptus, Tabak, Leder, Liebstöckl und Cola-Fruchtgummi von Haribo. 
Geschmack: vollmundig, mit Nelken und viel Holz, 
Nachklang: lang, aber sehr trocken, mit Eukalyptus und leicht bitter

Gesamteindruck:  Das Finish in Vermont Estate Oak Barrels mag politisch korrekt sein. Aber es begeistert mich nicht so richtig. Das Aroma finde ich toll, und mit schönem Tiefgang, doch das Holz drückt für meinen Geschmack zu viel auf die Zunge. Der ist eher was für Freunde von Virgin Oak und viel Holz.

Fazit: 

Der Whiskey hat sich gewandelt, aus dem ungehobelten Woodchunk von 2016 ist ein profunder, charakterstarker Rye geworden. Hut ab. Vor allem der 10er und der 12er haben mir gut gefallen.

Raj Bhakta und der 2018 verstorbene Dave Pickerell hatten sich zum Ziel gesetzt, den ultimativen Rye-Whiskey in die Flasche zu bringen und einen amerikanischen Premium-Whiskey zu schaffen, der das Wort "Premium" auch verdient. Sein Vorbild war der historische, schwere  "Monongahela-Rye" aus Pennnsylvanien, der keinen Mais enthält und schwierig zu destillieren ist. Jetzt werden andere fortführen müssen, was die beiden begonnen haben. Wollen wir hoffen, dass sie das Ziel nicht aus den Augen verlieren. 

PS: Ein Whistlepig ist übrigens kein Pfeifschwein, sondern ein Waldmurmeltier, die in Vermont auch "Woodchunk" genannt werden. Ein Woodchunk wiederum ist ein Spitzname für jemand, der aus Vermont kommt.  Aber auch in kanadischen Wäldern sind die Woodchunks zuhause. There you have it.

Mehr zum Thema:

Tasting Notes 2016

Craft Distillers in Berlin 2013

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