Neue Whiskeys braucht das Land - American Craft Distillers in Berlin

Berlin ohne die Amerikaner? Undenkbar! Gewiss, unser Verhältnis zu Amerika war in den vergangenen Jahren nicht immer ungetrübt. Doch wenn ich durch Berlin laufe, bin ich immer wieder dankbar, dass es Amerika gegeben hat. Und dass die Amerikaner stur genug waren, diese Stadt nicht aufzugeben.
Für den Berliner Barconvent haben sie in diesem Jahr neue Whiskeys mitgebracht und vorab im Hilton vorgestellt.


Auf meinem Weg vom Hotel zum Gendarmenmarkt komme ich auch am Checkpoint Charlie vorbei, jenem berühmt-berüchtigten Grenzkontrollpunkt, an dem die westliche Welt jahrzehntelang zuende war. Jenseits gab es keine Meinungsfreiheit, kein Coca Cola, keine Jazz-Musik und auch keinen amerikanischen Whiskey. Berlin ohne die Amerikaner? Nicht vorstellbar.
Vielleicht freue ich mich deshalb ganz besonders über die Einladung des Amerikanischen Botschafters zu dieser Whiskey-Verkostung, die wegen der derzeitigen Haushaltssperre nicht in der Botschaft, sondern im Hilton Hotel am Gendarmenmarkt stattfindet. Denn über 20 amerikanische Whiskey-Hersteller sind heute hier, um ihre neuen Produkte in Deutschland vorzustellen - und viele zum ersten Mal. 


Die meisten von ihnen gehören zur sogenannten Gruppe der Craft Distillers- kleine Brennereien, die ihren Alkohol noch in Handarbeit herstellen, und oft mit lokalen Produkten arbeiten. 2005 gab es erst rund 50 solcher Mikro-Brennereien in den USA, mittlerweile wird ihre Zahl auf etwa 400 geschätzt, Tendenz steigend. 

http://www.distilling.com/DistilleryMap.html
 
Eine der treibenden Kräfte hinter diesem Boom ist eine Änderung der staatlichen Gesetzgebung in den meisten amerikanischen Bundesstaaten. Bis zur Jahrtausendwende kostete eine Brennerei-Lizenz oft mehrere zehntausend Dollar im Jahr, eine Investition, die sich nur für Großbetriebe lohnte. Doch seit einigen Jahren gibt es auch die Möglichkeit einer preiswerten Klein-Lizenz für Brennereien, die nicht mehr als 35.000 Gallons Alkohol pro Jahr herstellen. Weitere gesetzliche Lockerungen wie die Erlaubnis von Whisky-Verkauf und Whisky-Verkostung vor Ort haben ebenfalls dazu beigetragen, dass kleinere Brennereien eine wirtschaftliche Überlebenschance sehen.


Auch die heutige Veranstaltung dient dazu, im Rahmen einer Exportförderung den amerikanischen Interessensverband der Distiller - den Distilled Spirits Council - zu unterstützen und mit flankierenden Maßnahmen den amerikanischen Newcomern ihren Weg in den deutschen Getränkemarkt zu ebnen. 

Denn Whiskey ist mehr als nur ein cooles Party-Vergnügen, er ist auch ein millionenschweres Wirtschaftssegment und Deutschland ist ein wichtiger Handelspartner und Tür-Öffner für die neuen Märkte in Osteuropa.
Die Zahlen, die Frank Coleman, Senior Vice President des Distilled Spirits Council, später während seines Vortrags präsentiert, beeindrucken und erstaunen mich gleichermaßen. In der letzten Dekade ist der Export von Amerikanischen Bränden von 445 Millionen Dollar im Jahr 2002 auf 1,48 Milliarden Dollar im Jahr 2012 angestiegen - und Deutschland ist hinter Canada, Australien und Großbritannien der viertgrößte Exportmarkt geworden. 


Endlich mal ne Frau;-) Tanja Bempreiksz, Bourbon Ambassador
Dementsprechend stark beworben wird der deutsche  Whiskeymarkt von den etablierten Großen der Branche wie Brown-Forman oder Beam Global. Und man weist gerne auf die frühen Pioniere aus Europa hin, die die Kunst des Destillierens nach Amerika brachten, wie beispielsweise der deutsche Einwanderer Jakob Böhm, der später unter dem Namen Jacob Beam den Grundstein für eine amerikanischen Whiskey-Dynastie legte. Aber  auch für die neuen, kleinen Craft Distillers, die derzeit wie Pilze aus dem amerikanischen Boden sprießen, könnte Deutschland zum interessanten Geschäftspartner werden.

Doch welchen Nutzen habe ich als Konsument davon? 20 Brennereien sind heute hier vertreten, und ich habe ausreichend Gelegenheit, ihre Produkte kennen zu lernen. 

 

Bei meinem Rundgang durch den Saal fällt mir vor allem auf, wie frisch die meisten Destillate der Craft Distiller noch sind. Die Produktion ist aufwändig, es ist viel Handarbeit gefragt, und auf hochwertige Zutaten wird viel Wert gelegt. Doch nur die wenigsten überschreiten die Vier-Jahres-Marke. 
Das liegt in der Natur der Sache, viele Betriebe sind noch jung, die Firmengründer sind durchweg mutige Start-up Unternehmer mit dünner Kapitaldecke. 
Die meisten von ihnen sind Quereinsteiger, die sich das technische Know-How erst mühsam selbst aneignen müssen. Die amerikanische Whiskey-Industrie wurde jahrzehntelang von einer Handvoll Oligarchen kontrolliert, Fachkräfte mit jahrelanger Brennerei-Erfahrung wie in Schottland gibt es nur wenig. 
Auch Marketing-technisch sind sie noch unerfahren, ich muß jedesmal erst darum bitten, dass fürs Foto die Flasche doch auch mit aufs Bild soll.  Auch das obligatorische Nosing-Glas, mit dem die schottischen Kollegen so bereitwillig fürs Foto posieren, fehlt gänzlich. 
Die Zielgruppe ist folglich auch weniger der Whisky-Connaisseur, sondern der Bartender und Lifestyle-Konsument. Denn der Cocktail ist eine uramerikanische Erfindung und erlebt gerade wieder eine unglaubliche Renaissance. Und ein Old Fashioned oder Manhattan ist immer nur so gut, wie der Whiskey, aus dem er gemacht wird. 

Michter's: zusammen fast ein halbes Jahrhundert...

Vor allem Rye Whiskey, mit einem Anteil von über 50% Roggen, ist derzeit in der Barszene sehr beliebt, und viele der anwesenden Micro-Brennereien haben Rye im Programm. Doch auch junge Bourbon sind dabei, und jeder schmeckt anders. 
Genau in dieser Individualität liegt die große Chance des Craft Whiskeys. Jeder dieser Whiskeys hat seine ganz besondere Eigenheit, seine eigene Ausprägung, seine eigene Note. Wer weg will vom Einheits-Cocktail der 80er und 90er Jahre, wird hier gut bedient.  Noch ist nicht jedes Etikett  für den verwöhnten europäischen Markt geeignet und nicht jedes Produkt wird sich auf dem Markt behaupten können. Doch das Potenzial ist da, und für den kreativen Barchef oder Hobby-Mixologen kann es sich durchaus lohnen, den Craft Distillers mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

 Margaretemarie meint: 

In Schottland ist die Zahl der Brennereien, die noch privat geführt werden, erschreckend gering. Und auch in Amerika befindet sich die Whiskey-Produktion weitgehend in der Hand einiger weniger Großkonzerne. Die Craft Distillery Bewegung bietet eine historische Chance für die Verbraucher, mehr Vielfalt und Individualität abseits der großen Konzernpolitik zu erhalten. 
Doch wer in zehn oder fünfzehn Jahren gute Craft Whiskeys haben will, muss heute bereits den Weg dafür ebnen. Gute Vertriebsstrukturen müssen geschaffen werden und der Markt muss den Newcomern wohlwollend gegenüber stehen. Geduld ist vonnöten, Pioniergeist und Durchhaltevermögen. Ich würde es mir und allen anderen Whiskey-Genießern wünschen. Berlin wurde schließlich auch nicht an einem Tag gebaut. 


Gegründet 1997: Prichard's, Tennessee,
Einige der Teilnehmer werde ich in den kommenden Wochen in loser Folge noch näher vorstellen.
Und hier ist die komplette Liste:


Brown-Forman (Jack Daniel’s, Woodford Reserve), 
Beam (Maker’s Mark, Jim Beam), 
Diageo (Bulleit Bourbon),
Campari USA (Wild Turkey),
Cane Land Distilling Company (LA), 
Catoctin Creek Distilling Co. (VA), 
Corsair Artisan Distillery (TN), 
Death’s Door Spirits (WI), 
Few Spirits (IL), 
Garrison Brothers Distillery (TX), 
Georgetown Trading Co. (DC),
House Spirits Distillery (OR), 
Limestone Branch Distillery (KY), 
Michter’s Distillery (KY), 
Middle West Spirits (OH), 
Osocalis Distillery (CA), 
Philadelphia Distilling (PA), 
Prichards’ Distillery (TN), 
Prohibition Distillery (NY), 
Square One Organic Spirits (CA), 
Templeton Rye Spirits (IA)
Tuthilltown Spirits (NY).


Auch ein ganz Großer ist dabei: Chris Morris, Master Distiller bei Brown-Forman und Woodford Reserve, führt die Gäste durch ein Tasting


 

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