Rum für Whisky-Fans (3): Sauer macht lustig - Brennereien im Ester-Fieber von Long Pond bis Lochindaal

Seit 2017 sind die Rums von Jamaica verstärkt in den Fokus der Spirituosen-Geeks gerutscht. Schuld daran sind vor allem die High-Ester-Rums von Long Pond und Hampden Estate. High Ester Rums sind jedoch keine neue  Erfindung. Seit mehr als zweihundert Jahren haben die Rums von Jamaica einen besonders guten Ruf, der vor allem auf einem hohen Ester-Gehalt basiert. Doch warum ist das so? Unsere Spur führt uns von den Zuckerplantagen der Karibik zu den Whisky-Brennern in den westlichen Highlands von Schottland und auf Islay.

Eine Brennerei, unterschiedliche Stile: die Long Pond Distillery gehört zu den Ikonen der Rum-Brennereien auf Jamaica

Um den derzeitigen Hype um die sogenannten High-Ester-Rums besser zu verstehen, müssen wir uns zunächst etwas mit den Besitzverhältnissen von einigen Brennereien in der Karibik befassen. 

Schauen wir uns deshalb die Besitzverhältnisse bei der Long Pond Distillery etwas genauer an, ehe wir uns der Entwicklung von High Ester Rums zuwenden: 

National Rums of Jamaica

Die Long Pond Distillery befindet sich im Besitz der Firma "National Rums of Jamaica", NRJ. Ebenfalls im Besitz von NRJ sind die Clarendon Distillery in Monymusk sowie die stillgelegte Innswood Distillery. 

NRJ wiederum befindet sich jeweils zu einem Drittel im Besitz der West Indies Rum Distillery (WIRD) auf Barbedos, Demarara Distillery Limited in Guyana (DDL) sowie der Sugar Company Jamaica Holding, die ihrerseits eine Tochterfirma der Regierung von Jamaica ist (siehe Schaubild weiter unten). 

2017 gelang es Alexandre Gabriel, dem CEO und Mehrheitsbesitzer des Cognac-Hauses Ferrand, die West Indies Distillery Company zu erwerben. Bis zu diesem Zeitpunkt befand sich WIRD im Besitz von Goddard Enterprises Ltd., einem multinationalen Konglomerat mit Sitz in Barbardos. Zur Produktpalette von WIRD gehörten u.a. auch Malibu (Kokos-Likör auf Rum-Basis) und Cockburn Rum.

Der Erwerb von West Indies Rum Distillery durch Gabriel war ein einzigartiger Coup in der Rum-Industrie. Über die WIRD werde ich euch in einem meiner nächsten Posts mehr erzählen. Heute soll es vor allem um Long Pond gehen.

Da die WIRD Anteilseigner an der NRJ ist, erwarb Gabriel beim Kauf der WIRD auch  Anteile an den Brennereien Long Pond und Clarendon/Monymusk auf Jamaica. 

In Zusammenarbeit mit La Maison du Whisky und anderen europäischen Rum- und Whisky-Importeuren hat Alexandre Gabriel seither eine Vielzahl von hochklassigen Rum-Abfüllungen auf dem europäischen Markt lanciert, die sich nicht nur an den Barbereich, sondern vorrangig an den anspruchsvollen Spirituosen-Connoisseur richten. 

Vor allem Long Pond mit seinen alten Pot-Still-Brennblasen und seinen High-Ester-Rums geriet schnell in den Focus einer neu entstehenden Fangemeinde von Rum-Geeks. Dabei hat man sich stark an den Vorlieben der Whisky-Liebhaber orientiert: Einzelfass-Abfüllungen, Fass-Stärken, kein Zuckerzusatz, Altersanagaben und detaillierte Angaben auf dem Etikett. Leider hat man sich auch beim Preis-Spiegel am Whisky orientiert. Alte Rums sind inzwischen genau so teuer wie alte Whiskys. 

Vor allem aber sorgte Gabriel dafür, dass in der Long Pond Distillery, die seit 2012 die Produktion eingestellt hatte, endlich wieder Rum destilliert wurde. 

Sauer macht lustig: Die High Ester Mania 

Über die unterschiedlichen Ester-Klassen der Long Pond Distillery, den sogenannten Marques, hatte ich euch ja in meinem vorigen Post bereits berichtet. Wenn ihr den Beitrag verpasst habt, könnt ihr ihn hier über diesen Link aufrufen. In meinem heutigen Post wollen wir der Frage nachgehen, wie es überhaupt zu diesen High-Ester-Rums kommen konnte. Und warum das so wichtig ist.

Dazu müssen wir wieder einmal tief in die Geschichte eintauchen. 

Long Pond Distillery


1.  Saurer Dunder, Sour Mash und ein alter Distiller aus Oban, der es sauer mag

Um High-Ester-Rums zu erhalten, hat man auf Jamaica bereits sehr früh eine eigene Methode der Fermentation entwickelt. Eine große Rolle spielen dabei "Dunder" und "Muck Pit" - zwei Begriffe, mit denen Rum-Geeks heutzutage um sich werfen, als hätten sie Dantes höllisches Inferno neu erfunden. Bei Licht betrachtet geht es dabei um eine Angelegenheit, die wir Whisky-Geeks auch seit vielen Jahren kennen: die Suche nach aufregenden Frucht- und anderen Duftaromen.

Der Begriff "Dunder" bezeichnet die Rückstände, die nach der Destillation in der Brennblase zurückbleiben. Sie enthalten eine Vielzahl von sauren Verbindungen, die bei der Fermentation eine wichtige Rolle spielen. Man könnte Dunder auch als eine Art "Hefe-Starter" bezeichnen. 

Um die Fermentation in Gang zu setzen, wurden auf den Antilleninseln (vor allem Trinidad, Tobago, Barbados, Grenada, Martinique und Guadeloupe) der Dunder nach der Destillation in einem speziellen Behälter aufgefangen und zu gleichen Teilen mit Wasser und den sogenannten Skimmings gemischt. Skimmings (auch Scummings genannt) sind  schaumige Rückstände, die sich während der Zuckerherstellung in den Zuckerpfannen bilden.

Auf Jamaica wurde dem Dunder jedoch eine viel größere Rolle beigemessen. Hier betrug das Mischungsverhältnis 50% Dunder, 6% Melasse, 36 % Skimmings, 8% Wasser. Wichtig war vor allem das saure Milieu, das durch die Zugabe von Dunder entstand. 

Um den Säuregehalt noch zu steigern, wurde auch Zuckerrohr-Essig oder frischer Zuckerrohr-Saft hinzugefügt. Eine Besonderheit ist dabei die sogenannte "Muck Pit". Über Muck Pits wurde in den letzten fünf Jahren viel in den diversen Social-Media-Kanälen diskutiert und geschrieben - und auch so manche unsinnige Information verbreitet. 

Verkürzt formuliert ist eine Muck Pit eine Zisterne, in der Dunder, Skimmings, Zuckerrohr-Essig oder Zuckerrohrsaft, Melasse, Wasser und Reste von frischem Obst angesetzt werden, um einen Gärprozess zu starten. Weitere Zutaten waren häufig Meerwasser, Nitratsalz oder Pottasche. Jede Brennerei hatte ihre eigene, geheim gehaltene und streng gehütete Rezeptur. 

Wilde Hefe-Pilze der Umgebungsluft und Bakterien sorgen dafür, dass diese Mischung schon bald zu gären beginnt. Damit der Inhalt der Zisterne nicht von Bakterien zerstört wird, muss die Muck Pit regelmäßig kontrolliert und betreut werden. Um einen besonders ester-reichen und aromatischen Rum herzustellen, wird eine gewisse Menge aus dieser säurehaltigen Muck Pit entnommen und zur Maische hinzugegeben. 

Auch beim Whisky spielen Säureverbindungen, vor allem Fettsäuren, eine wichtige Rolle. Geschmacksbildende Säuren, die bei der Fermentation von Whisky gebildet werden, sind beispielsweise Propionsäure, die nach Pfirsich und Ananas riechende Isobuttersäure und die nach Fußschweiß riechende Isovaleriansäure.

Long Pond Distillery

Die Idee, dass man die säurehaltigen Rückstände in die Fermentierungsbehälter gibt, ist für Whisky-Kenner tatsächlich nicht neu: das gleiche Prinzip wird bei der Sour-Mash-Methode in den USA angewandt. Dabei wird bereits vergorene Maische aus der vorhergehenden Fermentation zur neuen Maische hinzugefügt.

Fälschlicherweise wird die Erfindung der Sour-Mash-Methode häufig dem aus Schottland stammenden Dr. James Crow zugeschrieben, der ab 1838 in der Old Oscar Pepper Distillery arbeitete und dort das Sour-Mash-Verfahren perfektionierte. Dr. Crow hat die Sour-Mash-Methode nicht erfunden. Doch vieles deutet darauf hin, dass der 1789 in Inverness geborene Crow die Methode aus seiner schottischen Heimat kannte.

Dass dieses Verfahren bereits Jahrzehnte vor Jim Crow in den schottischen Highlands angewandt wurde, ist bisher kaum bekannt. Ein Bericht des Royal Committee 1803 gibt einige interessante Details zur Whisky-Herstellung preis, wie sie von einem alten Whisky-Brenner 1797 in der Nähe von Oban betrieben wurde. 

Die Whiskyproduktion in den Highlands unterschied zu diesem Zeitpunkt dramatisch von der Whisky-Produktion in den Lowlands. Während es in den Lowlands üblich war, Seife zur Brennblase hinzuzufügen, (dadurch den Säuregehalt zu senken bei gleichzeitiger Steigerung der Alkoholausbeute), fügte man in den Highlands nach traditioneller Methode saure Rückstände aus der vorherigen Fermentation hinzu.

"The Highland Distiller, at least those of the old school, not only put no soap or alkali in their wash, and therefore do not neutralize the acid it contains, but they studiously ferment to that it shall contain much acid. I examined into this minutely at Stonefield, near Oban, in Argyleshire. The distiller here, an old Highlander, whose whiskey bore a high character in the country, was fermenting in the following manner: he had no coolers; he kept his Wort in barrels, each of which had an old sack thrown over its mouth; his fermenting tuns were barrels of the same kind, and so clotted with dirt and yeast, both within and without, that when I put my stick to this coating of filth, it peeled off in layers; and while I was standing by, he took up another dirty vessel that contained the sediment of his last fermentation, and going to his fermenting barrels, he poured with impartiality, into each his portion. I asked him, with some surpize, why he did so, for, dipping my finger into a little of what remained, i found this sediment as sour as verjuice. He nodded significantly, and would not tell." 

„Die Highland Distiller, zumindest die der alten Schule, geben nicht nur keine Seife oder Alkali in ihre Maische und neutralisieren daher die darin enthaltene Säure nicht, sondern sie gären fleißig, damit sie viel Säure enthält. Ich habe das genauestens in Stonefield, in der Nähe von Oban, in Argyleshire, untersuchen können. Der Destillateur dort, ein alter Highlander, dessen Whisky im Land einen hohen Stellenwert hatte, gärte auf folgende Weise: Er hatte keine Kühler, er bewahrte seine Würze in Fässern auf, von denen jedes einzelne einen alten Sack über die Öffnung geworfen hatte, seine Gärfässer waren Fässer der gleichen Art und innen und außen so mit Schmutz und Hefe verklumpt, dass, als ich meinen Stock in diese Schmutzschicht hielt, sie sich in Schichten ablöste; und während ich dabeistand, nahm er ein anderes schmutziges Gefäß, das den Bodensatz seiner letzten Gärung enthielt, und ging zu seinen Gärfässern und goss jedem unbefangen seine Portion ein. Ich fragte ihn mit einiger Verwunderung, warum er das tat, denn als ich meinen Finger in die restliche Menge tauchte, die übrig geblieben war, fand ich dieses Sediment so sauer wie Verjus. Er nickte bedeutend und schwieg.Zitat aus dem Bericht von Dr. Jaffray,  1799, abgedruckt in: Reports from Committees of the House of Commons, Band 11, 1803 (die Schreibweise "Whiskey" folgt dem Originaltext)

Ich kenne nur wenige Textstellen, die den Unterschied zwischen Lowland-Whisky und traditionellem Highland-Whisky aus Argyshire so deutlich beschreiben wie diese Schilderung von Dr. Jaffray aus dem Jahr 1799. Während Lowland Brennereien wie Kennetpans und Kilbagie ihre Hefe bzw. ihr "Barm" damals von den Porterbier-Herstellern aus London bezogen, setzten die Highland Brennereien in Argylshire eine Art Sour Mash an, mit der sie die Fermentierung in Gang brachten.

Long Pond Distillery

Was Dr. Jaffray damals nicht wusste: es sind diese sauren Esterverbindungen, die für die besonders schöne Fruchtnoten in einem Destillat verantwortlich sind. Beispiele hierfür sind: Ethansäurepentylester (Banane), Butansäuremethylester (Ananas), Ethansäurehexylester (Erdbeere), Butansäureethylester (Pfirsich), Propionsäurebutylester (Rum), Benzoesäureethylester (Pfefferminz)

Leider hat der namenlose Whisky-Brenner in Stonefield das Geheimnis seiner Gärmethode nicht an Dr. Jaffray verraten. Und so verschwiegen wie unser Brennmeister in Stonefield war, so verschwiegen waren auch die Rumdestillateure in Jamaica. 

Die Muck Pit war der Gral der Aromenbildung und das große Geheimnis, das man gehütet hat wie einen Schatz. Die Basis bildeten immer Dunder und Scummings, der Rest gestaltete sich individuell. Manche Brennmeister gaben Seewasser, Pottasche oder Gemüse dazu, andere setzten auf Orangen, Limetten und Tamarinden. 

Long Pond Distillery

Lange Zeit dachte man, dass in Jamaica die Fermentierung ohne Hefe funktioniert, nur durch die Zugabe von Dunder. Es sollte bis 1893 dauern, ehe man den Zusammenhang zwischen Dunder und Wilder Hefe verstand. Dem Chemiker Percial H. Greg gelang es schließlich, wilde Hefestämme aus Dunder zu isolieren und in Reinkultur zu züchten. Diese Hefestämme machten in der Folgezeit den Einsatz von Dunder und Muck-Pit überflüssig. (Percival H. Greg, The Sugar Cane. Manchester 1893 (veröffentlicht im Bulletin of the Botanical Department, Jamaica, Vol. XXV No 292, 1895)

Mit den gezüchteten Hefe-Stämmen ließ sich die Alkoholausbeute sogar deutlich steigern. Doch der wissenschaftliche Fortschritt hatte seinen Preis: die Aromenvielfalt sank.  Nur wenige Brennereien auf Jamaica blieben bei der alten Methode. Dazu gehörten Long Pond, Vale Royal und Hampden Estate. Auffällig ist, dass diese drei Plantagen jahrzehntelang von Schotten verwaltet wurden, die einen engen Bezug zur Whisky-Produktion in den Highlands hatten. Ob das nur Zufall war?

Erst 1905 gelang dem Chemiker Charles Allan der wissenschaftliche Beweis, warum Dunder und Muck Pit so wichtig waren: Allan konnte anhand von Untersuchungen in einer Versuchsstation auf Hampden Estate zeigen, dass der besondere Geschmack des Jamaika-Rums nicht das Ergebnis der alkoholischen Gärung durch Hefen, sondern der sauren Gärung durch Bakterien ist. Endlich war das Geheimnis der Muck Pit entschlüsselt. 

Unseren alten Whisky-Brenner in Stonefield bei Oban hätte das Ergebnis vermutlich kaum überrascht. Und auch viele der schottischen Brennmeister in Jamaica müssen das Geheimnis der besonderen Aroma-Bildung durch Säure gekannt haben. Der Einfluss der Schotten auf die Entwicklung von Sour Mash Whiskey in den USA und auf die High Ester Rums in Jamaica ist bis heute so gut wie gar nicht untersucht worden. Dabei waren vor allem in Jamaica die schottischen Brennmeister schon sehr früh sehr aktiv. 

2. schottischer Einfluss auf Jamaicas Rumbrennereien

Bereits im 18. Jahrhundert hatten die Rums aus Jamaica einen exzellenten Ruf, und galten als besonders aromatisch. Zwei Merkmale unterscheiden den Jamaica-Rum dabei deutlich von den Rums aus anderen Regionen: zum einen die Art der Brennanlage und zum anderen die Art der Fermentation, die zu ausgeprägten Fruchtnoten führen kann. Doch ich habe bis heute keine vernünftige Erklärung finden können, warum das so ist.

Long Pond Distillery

Auffällig ist jedoch der große Anteil an Plantagen-Besitzern und Plantagen-Verwaltern auf Jamaica, die aus den schottischen Highlands stammten. Vor allem in Trelawny, wo sich die Long Pond, Vale Royal, Cambridge und Hampden Estates befinden, waren viele Schotten beheimatet. 

Hatten diese schottischen Highlander vielleicht einen größeren Einfluss auf die Entwicklung des Jamaica-Rums, als heute bekannt ist? Beim Wechsel von den altmodischen Pot Stills zu den moderneren Säulenbrennblasen, der ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die Karibik erfasste, erwiesen sich die genannten Brennereibesitzer auf Jamaica jedenfalls genauso störrisch und traditionsbewußt wie ihre Verwandtschaft in den schottischen Highlands. Bis heute sind Pot Stills ein typisches Kennzeichen von gehaltvollem Jamaica-Rum. 

2.1. Joseph Shearer, Vale Royal

Schon 1882 schrieb der Brennmeister des Vale Royal Estates in einem Artikel in der Zeitschrift "Sugar Cane":

 "Der wichtigste Motor bei der Geschmacksbildung sind die 'skimmings' und andere Rückstände aus dem Brennvorgang, die wir in der Zisterne auffangen und mischen. Rum, der nur aus reiner Molasse gebrannt wird, hat so gut wie keinen Geschmack“.

 (Sugar Cane 1882, S. 193)

Der Name des Autors wird in dem Artikel nicht genannt, doch mit großer Sicherheit handelt es sich um Joseph Shearer, der mehr als 30 Jahre lang auf dem Vale Royal Estate lebte und Manager mehrerer Plantagen war. Dass Shearer so großen Wert auf die Aromatik von Rum  legte, während viele andere Rum-Regionen diesem Aspekt deutlich weniger Aufmerksamkeit schenkten, war ganz gewiss kein Zufall. 

Denn Shearer stammte aus dem Speyside-Dörfchen Towie (Botriphnie) nahe Craigellachie, wo er am 29. November 1853 geboren wurde. Dort war Shearer im Dunstkreis von zahlreichen Brennereien aufgewachsen, und kannte sich mit aromenreichen Destillaten seit seiner Kindheit aus. Und dort entstand später auch die Towiemore Distillery.

1867 wanderte Shearer mit seiner Frau Elizabeth Jean Stuart nach Jamaica aus, wo er die nächsten dreißig Jahre verschiedene Plantagen und Brennereien verwaltete. Auch seine Kinder José, Ida, Colin, Patrick William und Alfred Alexander wurden in Jamaica geboren. Eng verwandt mit Joseph Shearer war Hugh Shearer, der von 1876 bis 1894 mit seiner Familie in Trewlawny/Jamaica lebte und in Boharm bei Craigallachie geboren war. 

Den Kontakt mit der Heimat hielten die Shearers jahrzehntelang aufrecht. Und vielleicht war das einer der Gründe, warum Shearer die Aromenbildung im Rum so sehr am Herzen lag. Wer will sich schon von der whisky-trinkenden Verwandtschaft sagen lassen, dass man ein geschmacksarmes Produkt herstellt?

1897 setzte sich Shearer zur Ruhe und kehrte nach Cragganspey (Craigellachie) in Schottland zurück, wo er am 17. Februar 1917 verstarb. Ob der ehemalige Premier-Minister von Jamaica, Hugh Shearer, ein Nachfahre dieser Shearers aus der Speyside war, habe ich leider nicht herausfinden können. Da der Ex-Premier ebenfalls aus Trelawny stammte, wäre es jedoch durchaus denkbar.

Das "Centre for the Study of the Legacy of Slavery" hat die Geschichte der Zuckerrohrplantagen bis zur Abschaffung der Sklaverei sehr umfassend dokumentiert, doch über die Zeit danach ist bisher kaum etwas bekannt. Und auch zum den Einfluss der schottischen Brennmeister auf die Entwicklung des Rums auf Jamaica gibt es nur wenige Untersuchungen. 

Wohnhaus von Josef Shearer in Vale Royal, Jamaica. Im Vordergrund ein Flammenbaum. Bildquelle: Internet Archive .
 

Dabei war der Einfluss der Schotten auf Jamaica enorm. Vor allem nach den gescheiterten schottischen Aufständen  gegen die englische Krone 1746 fanden viele ehemalige Jakobiter aus den Highlands in Jamaica eine Zufluchtsstätte, und der bis dahin wenig entwickelte Nordwesten der Insel wurde schon bald von schottischen Einwanderern dominiert. Mehr als 150 Jahre lang blieb Jamaica ein beliebtes Auswanderungs-Ziel für mittellose, junge Highlander, die mit Farmwirtschaft und Brennblasen aufgewachsen waren, doch in der Heimat nur wenig Zukunftsmöglichkeiten sahen.

Vale Royal, Trelawny. Bildquelle und Herkunft unbekannt.

Die University of Aberdeen hat in jüngster Zeit damit begonnen, die Geschichte der schottischen Plantagenbesitzer in der Karibik bis zum Ende der Sklaverei zu untersuchen, und bietet auf ihrer Website einige Informationen zu diesem Thema. 

Auch wohlhabende Schotten investierten in die florierende Zuckerrohr-Wirtschaft Jamaicas, und erwarben dabei ein beträchtliches Vermögen. In schottischem Besitz waren bis zur Abschaffung der Sklaverei auf Jamaica die Estates Aberdeen, Job’s Hill, Swanswick, Belmont, Georgia, Albion, Berwick, Charlemont, Crawle, Dalvey, Eden, Epsom, Rio Magno, Monymusk, Friendship, Union, York Valley, Macoucherie, Springfield, Lottery, Belmont, Kellitts, Mamee Gully, Clifton Pen, The Burn, Hopewell, St Toolie. 

2.2. William Shand (1776–1845): von Fettercairn nach Jamaica und zurück 

Einer dieser Plantagenbesitzer aus den schottischen Highlands war William Shand aus Aberdeenshire, dem zusammen mit seinem Bruder John die sieben letztgenannten Estates gehörten. John Shand (ca. 1759–1826) war der Sohn eines Weinhändlers aus den nordöstlichen Highlands. Er segelte Anfang der 1780er Jahre nach Jamaika, wo er als Verwalter von mehreren Plantagen arbeitete. Er war so erfolgreich, dass er schließlich auch eigene Plantagen erwerben konnte. Sein Bruder William folgte ihm 1791 nach.

Destillierapparat nach William Shand


William Shand entwickelte eine Brennanlage aus Holz, die auf dem Prinzip der Dampfdestillation basierte und über drei hölzerne Doubler verfügte. In den 1820er Jahren begann William Shand mit der Destillation von Whisky in Fettercairn in der Nähe von Laurencekirk und nutzte seine Erfahrung bei der Herstellung von Rum auf den Zuckerplantagen in Jamaika. Mindestens zehn Jahre lang führte er parallel Experimente in Jamaika (Kellitts Estate) und Schottland durch, um seine Rum- und Whisky-Produktion zu verbessern. (Siehe Abbildung. Weitere Infos zu Shand findet ihr hier)

Doch im regenfeuchten, kühlen Klima von Schottland hatte sich die hölzerne Anlage weniger gut bewährt als unter der tropischen Sonne von Jamaica, und sie wurde bald wieder aufgegeben. In der Karibik und in Nordamerika hingegen waren hölzerne Brennblasen bis ins 19. Jahrhundert weit verbreitet. 

Im 20. Jahrhundert kamen die hölzernen Brennblasen aus der Mode, doch in der Diamond Distillery in Guayana steht noch immer ein solches Modell. Heben wir uns also eine genauere Betrachtung dieser besonderen Form der Brennblase für später auf und wenden wir uns wieder der Long Pond Distillery zu. 

2.3. Blending Companies: Dreieckshandel zwischen Islay, Glasgow,  und Jamaica

Long Pond Estate gehört zu den ältesten Plantagen auf Jamaica und wurde vermutlich bereits 1708 von William Reid gegründet. Die schottisch-stämmigen Reids blieben mehr als ein Jahrhundert im Besitz der Plantage, wenngleich es gesicherte Unterlagen erst ab 1775 gibt. 

1887 kam Long Pond in den Besitz eines anderen Schotten, über den wir mehr wissen als über die Reids: John Bell Sherriff. Fans der Bowmore Distillery auf Islay kennen den Namen gewiss: Sherriff's Bowmore Abfüllungen sind heute begehrte Sammlerobjekte.


John Bell Sherriff stammte aus einer illustren Familie von Technikern und Destillateuren. Sein Vater George hatte nach einer Ausbildung bei Boulton & Watt für den Zar gearbeitet und in Russland Dampfmaschinen errichtet, während Großvater John Bell, ein Teehändler aus Abbotshaugh, vermutlich Teilhaber der Abbotshaugh Distillery Company war.

J.B. Sherriff wurde 1821 in Petersburg geboren, und kehrte 1841 nach Schottland zurück, wo er zunächst bei seinem Großvater lebte und mit Tee und Whisky handelte. Bald darauf gründete er zusammen mit William Gould in Glasgow eine Handelsvertretung für die Whiskys der St. Magdalene Distillery in Linlithgow und der Lochindaal Distillery in Port Charlotte auf Islay.

Nach seiner Heirat mit Flora Taylor, die aus Islay stammte, erwarb J.B. Sherriff die Lochindaal Distillery. Bald darauf übernahm er auch die Lochhead Distillery in Campbeltown. 1878 stieg er in das Rum-Geschäft ein und kaufte die Long Pond Distillery. Sein Sohn George führte nach Johns Tod 1896  die Familiengeschäfte weiter. 1921 wurde die Firma neu strukturiert. Zu diesem Zeitpunkt besaß George neben der Long Pond Distillery auch fünf Zuckerplantagen auf Jamaica. Vier Jahre später erwarb er die Bowmore Distillery. 

Es ist nur schwerlich vorstellbar, dass die Sherriffs ihre Erfahrungen in der Whisky-Destillation aus Campbeltown und Islay nicht auch auf Jamaica mit einbrachten - und umgekehrt. Die Vorstellung, dass sich Whisky, Cognac und Rum vollkommen isoliert voneinander entwickelt haben, ist naiv und entspricht keinesfalls der Realität. Wenn es um Spirituosen geht, war die Welt schon immer ein Dorf. 

Alte Brennblasen, Long Pond Distillery


Nachdem ich jetzt so viel über High-Ester-Rums aus Jamaica erzählt habe, wird es endlich Zeit, einen solchen High-Ester-Rum ins Glas zu gießen.

Über die Abfüllung "Vale Royal" hatte ich euch ja bereits in meinem vorherigen Post berichtet. Ein schönes Beispiel für einen High-Ester-Rum aus der Long Pond Distillery ist die Abfüllung "Cambridge", die Velier 2018 zusammen mit der Abfüllung "Vale Royal" auf den Markt brachte. 

Die Abfüllung dürfte inzwischen weitestgehend vergriffen sein, doch in den letzten Jahren sind vermehrt weitere High-Ester-Rums aus Jamaica auf dem deutschen Markt erschienen. 

Hier meine Tasting Notes:

Long Pond Cambridge, Jamaica Pure Single Rum, National Rums of Jamaica, 2005-2018, STC*E 550/700, 13 Jahre, double Retort Port Still,  Small Batch (11 Fässer, 3.618 Flaschen), , ungesüßt, natürliche Farbe, 62,5%

Foto: MM



Farbe: leuchtendes Rot-Gold

Aroma: Der "Funk" ist da, aber wunderbar harmonisch eingebunden in den übrigen Aromen-Cocktail: Schokolade, Kirschen,  Himbeeressig und Butterkaramell vermischen sich mit Minze, Bittermandel und trockenem Sommerschweiß, der von den Geruch einer alten, staubigen Asphaltstraße überlagert wird. Dazu frische Obstaromen von Tamarinden, Bananen und Ananas.

Geschmack: würzig und trocken, mit einer guten Portion von Fruchtaromen, aus denen unmissverständlich schräge Noten herausstechen, die Assoziationen an Bleistiftgraphit, Bittermandel  und Nagellackentferner wecken. Dazu Zimt, Nelken und Ingwerschärfe.

Nachklang: lang und würzig, mit einer leichten Schärfe und leicht trocken

Fazit: High-Ester-Rums gelten als "funky" und "abgefahren". Und das trifft es auch bei dieser Abfüllung ganz gut. Ein bißchen "abgefahren", doch die fruchtig-süßen Aromen befinden sich in einer wunderbaren Balance mit den sauren und erdigen Anteilen. Einer dieser Rums, die mit jedem Glas besser werden. 

Mehr zum Thema "Rum" findet ihr hier:

Unter der Lupe: Schottlands Rum-Geschichte / Teil I

Unter der Lupe: Schottlands Rum-Geschichte / Teil II






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