Online Tasting: Alt gegen Neu - war früher wirklich immer alles besser?
Es sagt sich so schnell: früher war alles besser. Auch beim Whisky hören wir diesen Spruch häufig. Aber stimmt das auch? Bei einem Online Blind Tasting hatte ich vor ein paar Tagen die Gelegenheit, diesem Spruch auf den Grund zu gehen. Verkostet wurden drei verschiedene Standard-Abfüllungen, von denen jeweils immer eine alte und eine neue Abfüllung einander gegenüber gestellt wurden. Was ich im Glas hatte, wusste ich nicht, die Auflösung gab es immer erst am Ende. Und das Ergebnis war so frappierend, dass es sogar mich überrascht hat.
Ich wusste vorher nicht, welche Whiskys es im Tasting gab, und ich wusste auch nicht, ob sich die alten oder die neuen Abfüllungen hinter den Bezeichnungen "Stadt" oder "Land" befanden. Erst am Ende des Tastings habe ich dann die Paarung erfahren:
1. Royal Lochnagar, 12 Jahre, 1995 gegen 2020
2. Redbreast 15 Pure Pot Still, 2005 gegen aktuelle Ausgabe
3. Dalmore Cigar Malt, alte US-Version gegen 2020 Travel Retail
Die Whiskys präsentierten sich im Blind Tasting folgendermaßen:
1. Lochnagar
"Abfüllung Stadt"
Nase: intensiver Duft
nach kellergelagerten Winter-Äpfeln, die anschließend noch eine Weile im
hölzernen Küchenschrank liegen durften. Ein bißchen Boskop vielleicht,
süß-sauer, mit rauher Schale, aber auch saftigere Sorten. Insgesamt sehr frisch
und fruchtig.
Geschmack: mundfüllend, guter Antritt auf der Zunge, mit
einer leichten Wachsnote.
Nachklang: angenehm, mittellang, warm
Fazit: Duft und Geschmack passen sehr gut zusammen, ein
harmonischer Whisky aus dem refill-Bourbon-Fass, der mit tollen Apfelaromen und
einer zarten Wachsigkeit und einem sehr schönen Nachklang besticht.
"Abfüllung Land"
Nase: am Anfang sehr verhalten. Leider wird er nach einigen
Minuten warten auch nicht viel aufgeschlossener. Zuckerwasser, Blütenduft,
etwas Karamell, etwas Vanille, Kartoffelpüree und nur ganz wenig Apfel.
Zunge: leicht scharf,
und leicht bitter.
Nachklang: enttäuschend kurz
Fazit: In der Nase etwas zu dünn, auf der Zunge etwas zu
scharf. Nicht unangenehm, aber verhalten und banal. Insgesamt eher
enttäuschend.
Mein
Favorit: Auf jeden Fall Abfüllung Stadt. Davon hätte ich gerne eine ganze Flasche.
Redbreast 15
"Abfüllung Stadt":
Nase: saftige Kirschen und Bohnerwachs. Leicht Sherry-tönig,
Aparte Mischung.
Geschmack: vollmundig, sehr wachsig, Ohrenschmalz. Tannine
einer europäischen Eiche.
Nachklang: lang und warm
Fazit: Ein Whisky für Fortgeschrittene, mit Ecken und
Kanten, der von Schluck zu Schluck besser wird. Eine von jenen Whiskys, die am
Anfang sperrig sind, und bei denen man am Ende weint, wenn sie alle sind.
"Abfüllung Land":
Nase: im ersten Moment der Geruch von frisch aufgekochter
Milch, der mich eher abtörnt, und zum Glück nach ein paar Minuten verschwunden ist.
Geschmack. Leicht wachsig, aber eher dünne Aromatik.
Nachklang: recht kurz
Fazit: Kann der "Stadt" nicht das Wasser reichen. Blass
und nichtssagend im Vergleich.
Mein
Favorit: Auch diesmal ganz klar Abfüllung Stadt. An den könnte ich mich gewöhnen.
Dalmore:
"Abfüllung Stadt":
Nase: süße Karamellbonbons, Sherry-Noten (American Oak), Leder,
Tabak, Waldhonig,
Geschmack: schönes
Mundgefühl, elegant, vollmundig, gefällig
Nachklang: mittellang, süffig
Fazit: ein schöner, süffiger Whisky aus dem Sherry-Fass.
"Abfüllung Land":
Nase: Oh. Unangenehm. Dieselöl, Sattelschweiß und Maggie. Unausgewogen
und unruhig.
Geschmack: leicht ölig, alte Holzplanken, etwas sprittig und
bitter.
Nachklang: mittellang
Fazit: ein unharmonischer, leicht sprittiger Whisky mit
geringer Komplexität. Der Geruch wirkt auf mich unangenehm - passiert mir bei
Whisky eigentlich selten. Keine große Offenbarung.
Mein
Favorit: ganz klar die Abfüllung Stadt. Ein süffiger, harmonischer Allrounder mit
Sherry-Noten.
Ergebnis:
So krass hätte ich mir die Unterschiede nicht vorgestellt. Die Whiskys
unterscheiden sich nicht nur in Nuancen, sondern sind markant (!!!) unterschiedlich.
Die Stadt-Abfüllung hat mir in allen drei Fällen gut gefallen, und wäre auch
jedes Mal einen Kauf wert, während die Land-Samples deutlich hinter den Stadt-Samples
zurückblieben und einen negativen Eindruck hinterließen.
Leider, möchte man sagen. Denn die Auflösung ergab, dass sich hinter den Stadt-Samples jedesmal die alte Abfüllung, hinter den Land-Samples in allen drei Fällen die neue Abfüllung verbarg. Die neuen konnten in allen drei Fällen der alten Abfüllung im direkten Vergleich nicht im Ansatz das Wasser reichen, und haben bei mir auch keinen Kaufreflex ausgelöst. Die alten Abfüllungen hingegen würde ich mir sofort in den Schrank stellen, obwohl es "nur" einfache Standards waren.
Das Argument, dass die Standards in den vergangenen Jahren diese enorme Preissteigerung beim Whisky nicht mitgemacht haben und kaum teurer geworden sind als früher, klingt da wie Hohn. Mag sein, dass bei den Standards die Preise stabil geblieben sind. Die Qualität ist aber nicht stabil geblieben, sondern deutlich abgefallen, zumindest bei den Beispielen im Test. Doch auch bei anderen Abfüllungen habe ich in den vergangenen drei bis vier Jahren ähnliches erlebt. Ich gehe davon aus, dass auch andere Standards in einem "alt-gegen-neu-"Test zu solch erschreckenden Ergebnissen führen werden.
Die Gründe, warum das so ist, sind vielfältig. Veränderungen im Produktionsprozess spielen mit Sicherheit eine Rolle. Noch gravierender scheint mir jedoch die Fassauswahl zu sein. Und da sieht es heute bescheiden aus, wenn es um die Standards geht.
Das Aromaprofil der vorliegenden Samples der alten Abfüllungen deutet darauf hin, dass früher viele gute und auch ältere Fässer in die Standard-Abfüllungen mit einflossen. Die Samples der neuen Standards zeigen hingegen durchweg ein mittelmäßiges bis unterdurchschnittliches Aromenprofil auf, hier kamen Fässer zum Einsatz, die eine deutlich schlechtere Aromatik aufweisen als die Fässer für die älteren Abfüllungen - viel Refill, mit nur mäßigem Reifegrad, trotz der Altersangabe.
Da drängt sich mir der Verdacht auf, dass heute zu viele gute Fässer als teure – und auch überteuerte – Sonder-Abfüllung auf dem Markt kommen, während für die Standards diese guten Fässer fehlen und viele unterdurchschnittliche Fässer verwendet werden, die früher wahrscheinlich in die Blended Whiskys einflossen. Was dann am Ende der Kette noch für die Blends übrig bleibt, will ich kaum noch wissen. Aber ich ahne Übles, und vermute, dass ein vergleichbares Tasting mit Blended Whiskys das gleiche Ergebnis haben wird.
Ich finde diesen Trend nicht nur
bedauerlich, sondern auch bedenklich. Denn der Ruf einer Brennerei hängt am
Ende des Tages nicht von den teueren Sonderabfüllungen, sondern vor allem von den Brot-und-Butter-Abfüllungen ab – doch DIE
bieten derzeit bestenfalls noch Margarine.
Und vielen Dank an T. für die Samples.
(PS: Vielen Dank an Marcus Whiskycuse, der mich darauf hingewiesen hat, dass es sich beim alten Redbreast um eine Abfüllung von 2005 handelt, nicht von 1995, wie ursprünglich behauptet. Ich habe die Angabe oben inzwischen geändert.)
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