Alt, älter, reingefallen: der Mythos Glenavon

 Alte Whisky-Flaschen haben einen ganz besonderen Reiz, und die meisten von uns freuen sich, wenn man tatsächlich so ein Schätzchen ergattern kann. Als älteste existierende Abfüllung galt bisher die "Glenavon"-Flasche. Doch ein Chat in einer Whisky-Gruppe brachte große Zweifel zutage.


Die vergangenen Jahre haben einige unglaublich alte Whiskys auf den Markt gebracht - denken wir nur etwa an den Glenfarclas 60, Mortlach 72 oder den Glenlivet 80, die die Whisky-Welt in Staunen versetzt haben. 

Genauso spannend sind Abfüllungen, deren Inhalt schon vor vielen Jahrzehnten in die Flasche kam. Abfüllungen aus vergangenen  Zeiten sind bei Kennern gesucht und begehrt, und  seit einiger Zeit hat sich in diesem Segment ein erstaunlicher Zweit-Markt entwickelt.

Als ältester noch existierender Whisky der Welt galt bisher der "Glenavon", (gesprochen "Glen-Aah'n") der 2006 bei einer Versteigerung im Auktionshaus Bonhams für 17.368 Euro unter den Hammer kam. Gemessen an heutigen Preisen mag die Summe bescheiden klingen, aber damals war das eine Menge Geld für eine kleine Flasche. 

Zugeschrieben wurde die Abfüllung der Glenavon Distillery, die sich auf der Delnabo-Farm in den schottischen Highlands befand und angeblich von John Smith, dem Sohn des Gründers der berühmten Glenlivet Distillery, betrieben wurde. 1849 hat dann sein Vater George die Brennerei übernommen, in Cairngorm umbenannt und noch einige Jahre weiter geführt. 1859 hat George die Delnabo-Glenavon-Cairngorm Distillery geschlossen, zeitgleich mit seiner Drummin Distillery, um an neuem Ort die Minmore Distillery, die heutige Glenlivet Distillery, zu errichten.

So lautet zumindest die Geschichte, die im Zusammenhang mit der Glenavon-Abfüllung erzählt wurde. Aber entspricht das überhaupt den Fakten? Gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Glenavon Distillery und dieser Abfüllung? Kann es tatsächlich sein, dass sie aus der Zeit VOR 1851 stammt?

Bei einer Diskussion in einer Facebook-Gruppe wurden berechtigte Zweifel an dieser These laut. Etikett, Gestaltung und Flaschen-Kapsel deuten eher auf eine Zeit nach 1880, vielleicht sogar um die Zeit nach der Jahrhundertwende. 

Meine Neugier war rasch geweckt, und die modernen Medien bieten heute ganz andere Recherche-Möglichkeiten als noch vor 10 Jahren. Machen wir uns also auf und gehen auf Spurensuche durch die unendlichen Weiten des digitalen Universums.

1) Delnabo-Glenavon Distillery

Gegründet wurde die Glenavon Distillery auf der Delnabo Farm nicht vom Sohn des Glenlivet-Gründers, sondern von einem gewissen John Gordon, Farmer in Croughly, bei Ballindalloch. Der Überlieferung zufolge hat Gordon zuvor in Croughly eine illegale Schnaps-Butze betrieben. 

1849 musste er aus wirtschaftlichen Gründen seine kleine Farmbrennerei an George Smith von Glenlivet verkaufen. Manager wurde dessen Sohn John Smith, der zu diesem Zeitpunkt bereits in die Leitung des elterlichen Betriebes eingebunden war.  

Die Lizenz für die Brennerei wurde 1851 auf Johns Namen ausgestellt, und gleichzeitig der Name der Brennerei zu Cairngorm geändert. Nach einigen Jahren wurde die Glenavon-Brennerei geschlossen, die Delnabo Farm blieb jedoch Johns Heimat, wo er  in späteren Jahren ein stattliches Wohnhaus errichtete.  Ein ausführlicher Bericht findet sich im "Elgin Courant and Morayshire Advertiser" vom 17. September 1901. 

Delnabo House. Hier hat sich John Smith in späteren Jahren besonders wohl gefühlt. Bild: https://www.geograph.org.uk/photo/6196737


2) Glenavon-Abfüllungen

Es scheint, dass man  in späteren Jahren den alten Namen "Glenavon" wieder aufgegriffen hat. 1889 bringt ein Weinhändler aus Taunton eine Abfüllung namens "Glenavon" auf den Markt. Die Brennerei wird nicht genannt. Könnte "unsere" Glenavon-Flasche aus dieser Quelle stammen?



Eine weitere Spur führt nach Glasgow. Hier bringt der Weinhändler R. Jackson & Co. 1899 einen 10 Jahre alten "Glenaven" in die Flasche, der laut Werbeanzeige aus der Glenlivet Brennerei stammt - oder zumindest aus dem Glenlivet-Tal. Glenaven ist jedoch nicht Glenavon, so dass wir hier wohl eher in einer Sackgasse gelandet sind. 


3) Irland. 

Die Informationen über die versteigerte Glenavon-Abfüllung sind dürftig, doch in einem der Pressetexte wird darauf verwiesen, dass die Abfüllung von einer Dame aus Irland stamme, und sich "seit Generationen" im Besitz der Familie befinde. Werden wir vielleicht in Irland dem Rätsel auf die Spur kommen können?

a) Fußball

1889 wird in Nord-Irland der "Glenavon" Fußball-Club gegründet. Er existiert bis heute und spielt in der NIFL. Heimspiele finden im Mourneview Park, Lurgan, County Armagh statt.

Glenavon Fußballstadion in Lurgan. Bild Wikipedia.


b) Irischer Whiskey

1929 betreibt der nordirische Wein- und Spirituosenhändler Milligan's ein Ladengeschäft in der Lisburn Road, der Einkaufsmeile von Belfast. Mit im Programm in diesem Jahr ist ein irischer Whiskey namens "Glenavon", der möglicherweise eine Reminiszenz an den Fußball-Club gleichen Namens ist. Er wird zusammen mit Jameson, Power und Bushmills in einer Anzeige erwähnt. 


Liegt hier vielleicht die Lösung unseres Rätsels? Hat vielleicht ein nordirischer Fußball-Fan jahrzehntelang eine Flasche Whisky aufgehoben, die den Namen seines Lieblings-Clubs trug? 

Von 1882 bis 1929 gab es zudem in Belfast die Avoniel Distillery. Stammt der Glenavon von dort?


Fassen wir zusammen: die Glenavon Distillery in Schottland hat nur wenige Jahre, vermutlich zwischen 1845 und 1849, Whisky unter diesem Namen produziert. Gehört hat sie dem Farmer John Gordon, der schon bald das Destillieren aufgab. In Irland und Schottland hat zu diesem Zeitpunkt die Kartoffel-Fäule viele Menschen in den Ruin getrieben. Die Brennerei kam danach in den Besitz der Glenlivet-Smiths, die den Whisky unter dem Namen Cairngorm vermarkteten. 

Gestaltung von Etikett und Flaschenkapsel deuten auf eine andere, spätere Phase hin und die Abfüllung weist viele Ähnlichkeiten mit Abfüllungen aus der Zeit um und nach der Jahrhundertwende auf. Auch die Flaschenform deutet auf eine spätere Phase.

Die Abfüllung befand sich jahrzehntelang im Besitz einer Familie in Irland. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein irischer Fußball-Fan eine Flasche Whisky jahrzehntelang aufhebt, weil sie den Namen seines Lieblings-Fußball-Clubs trägt, und diese Flasche auch in den Hungerjahren des ersten und zweiten Weltkriegs nicht verkaufen oder leer trinken möchte, ist äußerst groß. 

Fazit: 

Aus der Ferne kann man eine Flasche nur schwer bewerten. Aber wenn euch eines Tages diese Abfüllung zu einem unwiderstehlichen Schnäppchen-Preis angeboten werden sollte, dann seid vorsichtig. 

Es könnte sein, dass es sich bei dieser angeblich ältesten Whisky-Flasche der Welt in Wirklichkeit um einen irischen Whiskey aus den zwanziger Jahren handelt. 


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