Small Batch, Big Business und die Suche nach der Zeit. Oder: warum wir Ardbeg so lieben.
Vor einigen Tagen habe ich in einem großen Einkaufsmarkt in der Whisky-Abteilung ein paar Flaschen gekauft. Keine Sonderabfüllungen. Keine der großartigen Limited Release, die so oft mein Herz höher schlagen lassen. Sondern gute alte Standards. Longmorn. Glenlivet. Glengoyne. Diese Flaschen sind nicht hipp, sie warten in aller Ruhe im Regal, bis sie gekauft werden und sie kosten auch kein Vermögen. Sie schmecken prima, sind ohne größere Probleme erhältlich, und wenn die Flasche leer ist, kann ich eine neue kaufen. Sie entschleunigen mein Leben. Sie sind zeitlos.
Warum also begnügen wir Whisky-Nerds uns nicht mit diesen Standards? Warum rasen wir ohne Unterlass hinter Small Batch und Limited Release her, warum stürzen wir uns mit dem größten Vergnügen von einem Hype in den nächsten?
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Aber Whisky ist mehr als nur ein Getränk. Whisky ist Lebensart, wir verbinden damit Erinnerungen an schöne Momente und die Sehnsucht nach einer glücklichen Zeit. Und je individueller die Flasche, desto näher kommen wir unserem Ziel. Denn im Zeitalter der Massen wollen wir auf keinen Fall in der Masse untergehen.
Auf der Suche nach der Zeit. Foto: margaretemarie |
Nur wenige Brennereien haben unser tiefes Bedürfnis nach Individualität und dem besonderen Moment so gut verstanden wie Ardbeg. Und nur wenige beherrschen die hohe Kunst der Limited-Release-Abfüllungen so gut wie die kleine Brennerei an Islays Küste. Dafür hassen wir sie. Dafür lieben wir sie.
Er wird unvergessen bleiben, dieser Moment, als Oliver Klimek seinen Supernova-Mini öffentlich auf Youtube zerstört. Als Horst Lüning bei seiner Verkostung 1.000 Euro durch die Luft segeln lässt. Als der Mann meines Herzens am Ardbeg-Tag für mich Fußball spielt. Es sind unvergessene Momente in unserem Whisky-Leben, und wir erleben sie kollektiv. Und genau darin liegt der eigentliche Reiz von Ardbeg.
Eine Limited Edition bedeutet eine begrenzte Anzahl von Flaschen. Aber auch unsere Kaufkraft ist begrenzt. Ebenso wie unser Trinkvermögen. Wir freuen uns, wenn wir eine besondere Flasche ergattern, die nicht jeder hat. Doch genau diese Flasche wollen alle anderen auch. Ardbeg hat diesen Widerspurch gelöst mit der Erfindung der massenhaften Besonderheit.
1997 hat Glenmorangie plc die stillgelegte Brennerei Ardbeg übernommen und einen 17jährigen Single Malt auf den Markt gebracht, drei Jahre später erschien Ardbeg 10. Seither ist Jahr für Jahr eine neue Abfüllung hinzugekommen. Aus der einstmals geschlossenen, vergessenen, vernachlässigten Brennerei ist in nur wenigen Jahren ein heiß begehrtes Objekt der Begierde geworden, mit Talent zum Kult-Status. Und jede Abfüllung ist anders.
Ardbeg. Foto: margaretemarie |
Und wer weiß, vielleicht wird er eines Tages den Traum vieler Malt-Nerds erfüllen und tatsächlich die Mälzböden in Ardbeg wieder öffnen. Wirtschaftlich gesehen wäre es eine Torheit. Doch die Fans von Ardbeg wären töricht genug, auch das zu finanzieren. Wer schert sich um Geld, wenn er dafür die Zeit überwinden kann? Einen anderen Traum aller Ardbeg-Fans will er aber nicht erfüllen: einen Ardbeg 17 soll es nicht mehr geben. Wir alle hassen Bill dafür.
Fast alle Brennereien bringen ältere Abfüllungen auf den Markt, und in meinem Einkaufswagen neulich waren einige davon zu finden: Longmorn 16. Glenlivet 18. Doch machen wir uns nichts vor: wenn es einen Ardbeg 17 als regelmäßigen Standard gäbe, er würde das gleiche Schicksal erleiden wie die anderen Abfüllungen in meinem Einkaufswagen. Er würde uns entschleunigen. Wir würden freundlich lächeln und ab und zu genussvoll ein Schlücklein trinken. Wir würden ihn lobend erwähnen. Aber berühren würde er uns nicht. Er würde in der Masse untergehen.
Wir brauchen Standards. Wir brauchen die Entschleunigung. Aber wir brauchen auch den Kick im Leben. Wir brauchen den besonderen Moment. Wir brauchen den unwiederbringlichen Schluck. Und das kann kein Whisky so gut wie Ardbeg. Dafür lieben wir ihn.
Zeit und Erinnerung - der besondere Moment. Foto: margaretemarie |
Natürlich habe ich am letzten Ardbeg Day auch eine Flasche Auriverdes erworben. Sie ist in meine Vitrine gewandert und wird warten müssen, bis sich der Staub der Zeit darauf gelegt hat. 10, 15 oder 20 Jahre vielleicht. Es wird der gleiche Whisky in der Flasche sein wie heute. Aber dann wird die Zeit ihn entschleunigt haben. Und gleichzeitig wird er diesen zeitlosen Glanz der Unwiederholbarkeit tragen. Er wird Erinnerungen wecken an jene wilden Momente, als wir sinnlos Fußbälle kickten und voller Leidenschaft diese eine Flasche jagten. Als wir Ardbeg hassten. Als wir Ardbeg liebten. Und er wird plötzlich alle Standards überstrahlen.
Meine Verkostungs-Notizen vom Auriverdes findet ihr [hier]:
Ardbeg Auriverdes. Foto: margaretemarie |
Tasting Notes: Ardbeg Supernova kehrt zurück
Ardbeg-Day 2014 (Ardbeg Auriverdes)
Whisky-Gedanken. Über Sammler und Jäger. Gastbeitrag von Bernhard Rems.
Interview mit Dr. Bill Lumsden (Ardbeg Day 2013)
Im Portrait: Dr. Bill Lumsden, Ardbeg und Ardbog
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