Geschlossene Gesellschaft: die Scotch Malt Whisky Society in London

Viele Sehenswürdigkeiten in London sind weltberühmt und jeder kennt sie: Big Ben, Westminster Abbey, Tower Bridge. Doch auch im verborgenen gibt es in der britischen Hauptstadt viele Schätze zu entdecken. Wie zum Beispiel die Niederlassung der Scotch Malt Whisky Society (SMWS). 

 

Als ich mich an diesem Vormittag aufmache, um die Londoner Niederlassung der SMWS zu erreichen,  bin ich wieder einmal überwältigt von der urbanen Lebendigkeit dieser Stadt. Nirgendwo sonst in Europa drängen sich die Gegensätze so dicht zusammen wie hier. Steil ragen futuristische Wolkenkratzer in die Höhe, umgeben von einem steinernen Meer von jahrhundertealten Gebäudekomplexen, und moderne Touristen-Tempel finden sich hier ebenso wie traditionsreiche Herren-Clubs hinter altehrwürdigen Fassaden. 

Weithin sichtbarer Höhepunkt der Londoner Skyline ist seit 2012 der Wolkenkratzer  „The Shard“,  die „Glasscherbe“, mit 310 m Gesamthöhe derzeit das höchste Gebäude in Europa. Schon sein Anblick ist beeindruckend, und die verglaste Aussichtsplattform in 244 Meter Höhe verspricht einen unvergleichlichen Blick über die Stadt.

Weit weniger auffällig, doch genauso attraktiv sind die unzähligen privaten Clubs, die „Gentlemen’s Clubs“, wie sie früher hießen, die seit dem 18. Jahrhundert in London in Mode kamen und die bis heute heiß begehrt sind, wie etwa das 1693 gegründete  White’s, in dem Prince Charles Mitglied ist oder der neue ArtsClub in Mayfair, wo Prinz Harry schon gesehen wurde. 

Einen Besuch im White’s kann ich mir sparen, Frauen haben dort bis heute keinen Zutritt, aber ein anderer Club interessiert mich um so mehr: die Scotch Malt Whisky Society, die 1983 in Edinburgh gegründet wurde, hat auch in London eine Niederlassung. 

Nur wenige Schritte von der U-Bahnstation Farringdon  entfernt liegt in der Greville Street 19 der unauffällig-elegante Eingang zur SMWS. Keine Leuchtreklame, keine Hinweisschilder zeigen den Weg, zufällige Passanten laufen achtlos vorüber. Denn die Society steht ganz in der angelsächsischen Tradition der Private Member Clubs: die SMWS ist eine geschlossene Gesellschaft, Zutritt nur für Mitglieder, wer nicht dazu gehören will, darf draußen bleiben. 


Es ist noch früh am Tag,  und als ich eintrete, bin ich der einzige Gast. Die Einrichtung besteht aus einer gelungenen Mischung von traditionell und modern, und zwei riesige, goldgrüne Plüschsofas stehen einladend in der Mitte des Raumes, flankiert von mehreren Tischen und bequemen Stühlen und Sesseln. 

Hinter der schlichten Theke steht das, wofür die SMWS berühmt ist: lange Reihen von grünen Flaschen, Einzelfassabfüllungen in Fassstärke, ohne Kühlfiltrierung und ohne Farbzusätze. Die monatlichen Abfüllungen der Society sind nicht ganz billig, doch sie haben einen ausgezeichneten Ruf und sind immer rasch vergriffen.


Gemessen an den 1.500 Pfund Jahresbeitrag, die der Londoner Arts Club kostet, ist die Mitgliedschaft in der SMWS eher günstig: das erste Jahr kostet 110 Euro, danach reduziert sich der Beitrag auf 60 Euro jährlich, die abgespeckte Online-Mitgliedschaft ist schon für 25 Euro im Jahr zu haben. Die Anziehungskraft der SMWS ist groß, über 20.000 Mitglieder und etwa 20 Niederlassungen hat die Society derzeit weltweit, Tendenz steigend. In Deutschland gibt es keine Dependance, aber über die Zweigstelle im holländischen Roosendaal können die Abfüllungen online bezogen werden.

Das Konzept ist ebenso einfach wie genial: Von den unterschiedlichsten Brennereien Schottlands werden Einzelfässer gekauft und in Fassstärke abgefüllt. Das Etikett verrät nichts über die Herkunft des Whiskys, sondern trägt eine Nummer und eine kleine Beschreibung, die wortgewaltig und manchmal auch poetisch Hinweise auf den Geschmack gibt und nur durch Andeutungen die Brennerei verrät. Hier kauft man den Whisky nicht nach Namen, sondern nach Geschmack, und deshalb sind alle Flaschen offen und im Ausschank erhältlich. Neidvoll wandern meine Augen an den endlos langen Flaschenreihen vorbei, wer in der Nähe wohnt, kann regelmäßig alles durchprobieren. 

Schließlich kommt die Frau, mit der ich hier verabredet bin: Alwynne Gwylt, in Insider-Kreisen als Miss Whisky bekannt, ist freie Autorin und begeisterte Whisky-Bloggerin aus London, und Frauen in der Whisky-Branche sind ihr Spezialgebiet. 


Für die SMWS führt Miss Whisky gelegentlich auch Tastings durch, und nachdem wir eine Weile über Whisky, Männer, Frauen und das WWW geplaudert haben, wählt sie für unser gemeinsames Tasting zwei Frühstücks-Whiskys aus: Nummer 30.77 und Nummer 9.73, zwei 16jährige Speysider. Nr. 30.77 stammt aus einem Refill Ex-Sherry Butt, und die Sherry-Note ist unverkennbar. Nr. 9.73 stammt aus einem Refill Ex-Bourbon Barrel, und er beeindruckt vor allem durch seine Komplexität. 

Für eine Frau haben Geheimnisse ihren ganz eigenen Reiz, und natürlich habe ich nicht eher Ruhe gegeben, bis ich die Brennereien kannte, die sich hinter diesen Nummern verbergen. Nummer 30 hat mich nicht überrascht, Nr. 9 hingegen sehr. Doch im Gegensatz zum Internet kann ich ein Geheimnis sehr wohl für mich behalten, wenn ihr wissen wollt, was ich da im Glas hatte, müsst ihr Tante Google schon selber fragen. Viel Spaß beim Suchen;-)


Und hier sind meine Tasting-Notes:

30.77:
Aroma: Schon der erste Eindruck ist ausgesprochen positiv, der Sherry ist unverkennbar, das Aroma vollmundig, herb und nussig. Nach kurzer Zeit kommt Karamell dazu und die aromatische Süße von glasiertem, braunen Zucker. Zum Schluss gibt’s noch ein Pflaumen-Zimt-Kompott, er wird milder mit einer leichten Fruchtigkeit.
Geschmack: Alle Erwartungen werden bestätigt, ölig und nussig kommt er auf die Zunge, mit einem Hauch Bitterschokolade. Etwas Wasser verstärkt das Nuss-Aroma noch, er bleibt dunkel, herb, fast salzig.

Fazit: ein idealer Herbstwhisky, kräftig, vollmundig, ausgewogen, ein idealer Begleiter für gebratene Entenbrust und Feldsalat mit Walnüssen.

9.73
Aroma: Dieser Whisky ist ein Schelm , er ist beileibe nicht so harmlos, wie es scheint. Der erste Eindruck erinnert an einen exotischen Fruchtsalat, süß, saftig, fruchtig. Doch schon bald verändert sich das Aroma, erst wird Süßholz geraspelt, dann treten Sägemehl, Lederlappen und Möbelpolitur hervor, alles gewürzt mit einer Prise frischem Ingwer.
Geschmack: Jetzt ist die Überraschung vollkommen, der Whisky hat Biss, scharf und pfeffrig kommt er auf der Zunge an, auch mit Ingwer. Mit einem Schluck Wasser kommt Holz, Leder und dunkle Schokolade dazu, er ist alles andere als lieblich.

Fazit: süffig und dennoch voller Überraschungen, passt dieser Whisky prima zu exotischen Gerichten oder gegrilltem Hähnchen mit Ingwer und Frühlingszwiebel.

Kommentare

  1. Sag mal... haben Frauen in der Whiskywelt eigentlich Vorteile, wenn es um Interviews geht? Das ist jetzt absolut keine chauvinistisch gemeinte Frage, aber mir fällt auf, dass du wirklich richtig gute Interviewpartner findest - und mit denen dann auch richtig gute Interviews führst bzw. Dinge erlebst.
    Liebe Grüße, Stefan

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    1. Hallo Stefan,
      vielen Dank für das Kompliment! Ob ich einen „Frauen-Bonus“ habe, weiß ich nicht – ich glaube es aber eher nicht. Aber ich habe mal eine Zeitlang selbst als freie Journalistin gearbeitet, und Interviews machen mir bis heute immer noch sehr viel Spaß. Natürlich habe ich auch Miss Whisky ein paar Fragen gestellt, denn sie ist eine tolle Frau und in diesem Jahr Whisky-Ambassador des Speyside-Festivals geworden. Es wird aber noch zwei bis drei Wochen dauern, bis das Interview online geht.
      Liebe Grüße,
      MargareteMarie

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