Hashtag, Dram & Like – Social Media und die deutschsprachige Whisky-Szene
Könnt ihr euch noch an die Zeit erinnern, als es noch verschiedene Whisky Foren gab? Damals haben wir unsere Drams in kleiner Runde verkostet, uns auf Whisky-Stammtischen über den neuen Jahrgang von Glen Irgendwas ausgetauscht, in Whisky Foren darüber gefachsimpelt, ob Laga 16 oder die Destillers Edition die bessere Wahl ist und ob man schon den neuen Karuisawa oder Chichibu probiert hat – und das war’s. Heute reicht ein Klick, und schon steht man im virtuellen Tastingroom mit Hunderten Gleichgesinnten und ebenso vielen verschiedenen Abfüllungen. Die deutschsprachige Whisky-Szene hat Social Media längst für sich entdeckt – und das mit spürbaren Folgen für Hersteller, Händler und Genießerinnen.
Von Wohnzimmern zu Follower-Zahlen
Die letzten 10 Jahre haben uns auch im Whisky-Bereich eine digitale Revolution beschert, die inzwischen niemand mehr ignorieren kann. YouTube, Instagram, Facebook & Co. haben aus Wohnzimmern kleine Brennpunkte der Whiskykultur gemacht. Influencer – oder, wie man im Dram-Sprech sagen könnte, „digitale Markenbotschafter“ – haben sich mit viel Fleiß und Begeisterung eine Community aufgebaut, die sie mitnehmen auf Tastings, Messen und Fasslager-Touren. Sie verkosten live, posten Review-Videos und diskutieren sich in Kommentarspalten durch ganze Fassstärkenpaletten.
Eine Analyse aktueller Social-Media-Daten zeigt, dass die großen Global Player wie Jack Daniel‘s, Johnnie Walker oder Jim Beam über eine enorme Social-Media-Präsenz verfügen. Aber auch Namen wie Signatory Vintage, Sansibar Whisky, The Whisky Agency oder Wu Dram Clan wurden 2025 besonders oft in deutschsprachigen Kanälen erwähnt.
Diese Abfüller profitieren von einer Mischung aus authentischem Storytelling und gezielten Hypes – ein Post hier, ein Reel dort, und schon entsteht ein Gespräch, das im besten Fall bis an den Verkaufsstand der nächsten Messe reicht.
So funktioniert der Whisky-Hype im Netz
Die Meinungen dazu sind - wie so oft im Leben - zwiespältig. Einerseits als willfährige Marketing-Marionetten verschrien, sind Influencer andererseits ein unverzichtbares Instrument geworden, um angesichts einer rapide wachsenden Anzahl von unterschiedlichen Abfüllungen von immer mehr Brennereien und immer mehr unabhängigen Abfüllern die Kunden halbwegs passabel über neue Produkte zu informieren. Ein ernsthafter Whisky-Anbieter kann sich heute kaum noch leisten, NICHT in den sozialen Netzwerken präsent zu sein.
Der Weg vom ersten Post zum Kaufimpuls verläuft dabei nach einem klar definierten Muster ab:
Review / Content – Video, Blogpost oder Bild mit persönlicher Meinung.
Aufmerksamkeit & Interesse – die Flasche kommt ins Gespräch.
Community-Interaktion – Kommentare, Diskussionen, geteilte Posts.
Vertrauen & Glaubwürdigkeit – die Person hinter dem Content wird zur verlässlichen Stimme.
Kaufimpuls & Markenbindung – der Dram wandert ins Glas… und oft gleich ins Regal.
Vertrauen & Glaubwürdigkeit
Doch ausgerechnet der wichtigste Baustein in dieser Kette wird oft vergessen - die Authentizität. Die Glaubwürdigkeit. Whisky-Enthusiasten sind sehr kritisch und bemerken schnell, wenn Beschreibungen zu “glatt” klingen, wenn technische Details nicht stimmen, wenn die persönliche Note fehlt.
Ein Whisky-Blogger oder Influencer, der nicht echt ist, wird schnell entlarvt und von der Community nicht mehr ernst genommen. Nur wer echten Content liefert, wird sich am Markt behaupten können.
YouTube, Blogs oder beides?
Einige der größten Namen in der deutschsprachigen Szene sind YouTuber – etwa Horst und Benedikt Lüning (Whisky.de), die Malt Mariners oder Pat Hock. Sie kombinieren Verkostungen mit Hintergrundwissen und einer treuen Community. Manche haben sich mit besonderen Schwerpunkten einen Namen in der Szene gemacht, wie etwa Whiskybabbler oder Talking about Whisky.
Andere, wie ich selbst oder FOSM, setzen auf traditionelle Blogs mit ausführlichen Texten und Fotos, oft mit sehr persönlicher Handschrift und viel Hintergrund-Information.
Hybride Formate – also Creators, die Video und Blog verbinden – wie beispielsweise „Malte Talks Malt“ steigern zunehmend ihren Bekanntheitsgrad.
Deutsche Whisky-Influencer auf TikTok: Praktisch nicht existent
Anders gestaltet sich die Situation bei TikTok. Die Recherche zeigt, dass es keine prominent sichtbaren deutschsprachigen Whisky-Influencer auf TikTok gibt. Hierfür gibt es mehrere Gründe: TikTok wird primär von der Gen Z (16-24 Jahre) genutzt, die schlichtweg noch zu jung sind. Whisky-Interesse entwickelt sich meist ab 25+. Zudem unterliegt Alkohol-Content auf TikTok strengeren Richtlinien, besonders in Deutschland.
Auch das Format ist bei TikTok wenig geeignet. Whisky-Verkostungen benötigen Zeit und Erklärungen - das passt schlecht zu TikToks 15-60 Sekunden Format. Während es international durchaus Whisky-TikToker gibt, sind diese hauptsächlich englischsprachig und US-amerikanisch. Deutsche Whisky-Influencer bleiben bei YouTube (längere Verkostungsvideos), Instagram (hochwertige Fotos, Stories) und Podcasts (ausführliche Diskussionen).
Dennoch gibt es bereits jetzt den ein oder anderen Influencer für Whisky oder andere Spirituosen, der sich auf TikTok präsentiert. Auch die Marketing-Profis von Whisky. de sind hier bereits vertreten.
Warum das auch für Genießerinnen spannend ist
Werbung hin oder her, die Vorteile für Whiskyliebhaber und -innen liegen auf der Hand: Man entdeckt Abfüller, die man sonst nie im Laden finden würde, man kann den eigenen Geschmack schneller entwickeln, weil man viele Meinungen und Aromenbeschreibungen vergleichen kann und man bekommt Einblicke hinter die Kulissen, ohne gleich nach Schottland, Irland oder Japan zu fliegen.
Die Entwicklung bleibt jedoch nicht stehen. Der zunehmende Einsatz von KI-gesteuerten Suchmaschinen und Textprogrammen wird auch auf die Whisky-Szene Einfluss haben.
Mit welchen Entwicklungen können wir also rechnen?
Auch ich habe keine Glaskugel, um in die Zukunft zu schauen, doch gewisse Trends lassen sich bereits jetzt erkennen.
A. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Plattform-Evolution:
Früher (2014):
1. Whisky-Foren
2. Blogs/Websites
3. Facebook
Heute (2025):
1. YouTube (50%) - immer noch stark für lange Inhalte
2. Instagram (35%) - visueller Content, Stories
3. Podcasts (10%) - Audio-Content für unterwegs
4. TikTok (5%) - noch marginal bei Whisky
Zukunft (2027-2030 - Prognose):
1. YouTube Shorts + Instagram Reels (40%) - Kurze, prägnante Inhalte
2. YouTube Long-Form (25%) - Detaillierte Verkostungen
3. Audio (Podcasts + Clubhouse-ähnlich) (15%) - Wachsender Trend
4. AR/VR Platforms (10%) - Virtuelle Verkostungen
5. KI-gestützte personalisierte Plattformen (10%)
B. Damit verbunden sind Performance-Veränderungen:
Früher (2014):
Vor 10 Jahren richteten sich Whiskyforen, Whisky-Blogger und Whisky-Vlogger vorrangig an eine Nischenzielgruppe, die aus einer sehr spezifischen, kleinen aber loyalen Community bestand. Längere Videos von 20-60 Minuten waren durchaus normal. Die Konkurrenz war gering, die Anzahl der Content-Creatoren war überschaubar und die meisten kannten sich persönlich.
Heute (2025):
Heute ist Whisky im Mainstream angekommen, mit Dutzenden von Whisky-Youtubern und Instagram-Influencern ist die Konkurrenz stark gewachsen, und gleichzeitig ist die Aufmerksamkeit der Leser/Zuschauer/Hörer drastisch gesunken. Bei einer kürzeren Attention Span sind mittlerweile 5-15minütige Inhalte optimal.
Zukunft (Prognose):
Das Konzept der Hyper-Personalisierung und KI-kuratierte Inhalte werden auch im Whisky-Bereich zunehmend an Bedeutung gewinnen. Interactive Content wie Live-Verkostungen, VR-Experiences, User-Generated Content und Cross-Platform-Integration mit nahtlosen Erfahrungen über alle Kanäle werden uns die nächsten Jahre zunehmend beschäftigen. Andererseits befindet sich die Branche derzeit in einer Baisse, und das sinkende Interesse werden auch die Blogger und Vlogger merken.
KI und Whisky-Influencer: was wird die Zukunft bringen
Die Künstliche Intelligenz revolutioniert derzeit nahezu alle Bereiche der digitalen Welt – und macht auch vor der traditionellen Whisky-Szene nicht halt. Niemand weiß so recht, wohin uns die KI die nächsten Jahre steuern wird. Ob sie alte Jobs ersetzt, oder neue Jobs kreiert, wird die Zukunft zeigen.
Für den Whisky-Bereich bin ich aber sicher: KI wird Whisky-Influencer nicht ersetzen. Ich habe die vergangenen Monate sehr viel mit KI experimentiert, um herauszufinden, wo sie mir helfen kann, und wo sie unbrauchbar ist.
KI zeigt ihre Stärken besonders bei der Strukturierung und systematischen Aufbereitung von Daten und Informationen. Eine ordentliche und gründliche Recherche zu einem Thema kann sie - trotz aller gegenteiligen Behauptungen - noch nicht wirklich gut. Dennoch ist sie ein gutes Hilfsmittel zur Unterstützung bei der Content-Erstellung
Der wichtigste Aspekt jeder Whisky-Bewertung – das tatsächliche Schmecken und Riechen – kann sie jedoch nicht, und wird sie auch nie können. Dieser Bereich bleibt ausschließlich menschlichen Sinnen vorbehalten. KI kann keine sensorischen Bewertungen abgeben oder die höchst individuelle persönliche Geschmacksreise nachvollziehen, die jeden Whisky-Liebhaber prägt.
Vertrauen durch Persönlichkeit
Menschen folgen Whisky-Influencern nicht nur wegen ihrer fachlichen Kompetenz, sondern vor allem wegen ihrer Persönlichkeit. Der Aufbau echter Gemeinschaften basiert auf menschlichen Verbindungen, die durch gemeinsame Leidenschaften und persönliche Geschichten entstehen.
Kultureller Reichtum und Tradition
Whisky ist weit mehr als nur ein alkoholisches Getränk – er ist Kultur, Tradition und Geschichte. Die persönlichen Anekdoten und die lebendige Gemeinschaft rund um den Whisky-Genuss können nur von Menschen mit echter Leidenschaft und Erfahrung vermittelt werden. Und das ist gut so.
Innovative Formate für die Zukunft
Die Branche wendet ihren Blick dennoch auf völlig neue, KI-gestützte Formate: Interaktive Whisky-Lernprogramme könnten Einsteigern das komplexe Thema näherbringen, virtuelle Verkostungs-Assistenten könnten bei der Auswahl passender Whiskys helfen, und präzise Matching-Systeme könnten Gleichgesinnte mit ähnlichen Geschmackspräferenzen vernetzen. Wie erfolgreich solche Modelle sein werden, bleibt abzuwarten.
Und was ist mit den guten, alten WhiskyBlogs?
Wenn ich etwas die letzten 10 Jahre gelernt habe, dann ist es, Veränderungen zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen.
Die Zukunft der Whisky-Blogs: Evolution statt Extinction
Während Video-Content und soziale Medien die digitale Landschaft dominieren, werden traditionelle Whisky-Blogs zunehmend an den Rand gedrängt. Wer bestehen will, wird sich an die veränderten Bedürfnisse derLeser anpassen müssen. Die Zukunft gehört Whisky-Blogs, die über das reine Textformat hinausdenken und ihre schriftlichen Inhalte auch mit Photos und Video-Kontent ergänzen.
Doch auch hier gilt: am wichtigsten ist der ehrliche, authentische Bericht. Whisky-Blogs besitzen einzigartige Vorteile, die sie konsequent ausbauen sollten. Ihre SEO-Dominanz bei Google-Suchen bleibt unerschütterlich – detaillierte, gut strukturierte Artikel ranken nach wie vor hervorragend und ziehen gezielt suchende Whisky-Enthusiasten an. Während soziale Medien auf schnelle 60-Sekunden-Videos setzen, können Blogs mit tiefgehenden 3000-Wort-Reviews punkten, die ernsthafte Sammler und Kenner schätzen. Zusätzlich fungieren sie als wertvolle Archive und Nachschlagewerke, während ihre Community-Features durch Kommentare, Diskussionen und Foren lebendige Gemeinschaften schaffen.
Tiefe statt Schnelle
Whisky-Websites und -Blogs stehen keineswegs vor dem Aussterben. In einer Welt, in der Oberflächlichkeit oft dominiert, haben ausführliche, gut recherchierte Whisky-Blogs eine wichtige Aufgabe: Sie bewahren die Tradition gründlicher Analyse und fundierter Bewertung – und passen sie gleichzeitig an die Erwartungen einer neuen Generation von Whisky-Liebhabern an. Die Whisky-Community schätzt Tiefe und Expertise - und das können Blogs nach wie vor besser liefern als 60-Sekunden-Videos.
Fazit:
Nicht nur der Whisky hat sich die letzten 10 Jahre verändert, sondern auch die Welt. Und wir haben uns mit ihr verändert. Wir sind älter geworden, reifer, klüger.
Die Whisky-Influencer-Landschaft hat sich von einer Community-dominierten Nische zu einem diversifizierten Multi-Platform-Ökosystem entwickelt.
Die “New Age of Whisky Influencers” zeigt eine professionellere, vielfältigere Szene als je zuvor.
Der Erfolgsschlüssel bleibt aber konstant: Authentizität und echte Expertise - unabhängig von der Plattform.
Die Algorithmen mögen die Reichweite bringen – den eigentlichen Wert aber schaffen die Gespräche, das Teilen von Erfahrungen und die Leidenschaft, die hinter jedem Post steckt. Und das kann auch die KI nicht ersetzen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen