Die große Whisky-Diät: Weniger ist das neue Mehr

 



Seit einigen Monaten wird allenthalben über die Whisky-Krise gejammert, und ein Blick auf die Statistiken bestätigt den vermuteten Verdacht: Die Whisky-Welt ist auf Diät. Ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber ich finde, es war auch höchste Zeit. Ich für meinen Teil hatte jedenfalls die letzten beiden Jahre die Lust am Whisky verloren. 

Die Zahlen sprechen Bände

Werfen wir einen Blick auf die nackten Fakten: 2021 fluteten sage und schreibe 12.226 neue Abfüllungen den Markt. 2024? Gerade mal 8.319. Das ist ein Rückgang um ein Drittel! Für 2025 sieht es mit bisher 2.680 Releases (Stand August) noch magerer aus. Hochgerechnet landen wir bei vielleicht 4.500 neuen Abfüllungen für das ganze Jahr.

Aber ist das tatsächlich schlecht? Nicht unbedingt. Denn während die Quantität purzelt, steigt die Qualität: Die Durchschnittsbewertung kletterte von 85,88 auf 86,76 Punkte. Das ist zwar kein Quantensprung, aber vielleicht doch ein positiver Trend.

Vom Überfluss zur Auslese

Erinnert ihr euch noch an die Zeit, als gefühlt jede Woche ein neuer “exklusiver” Single Cask auf den Markt kam? Als Independent Bottler ihre Lagerhäuser ausräumten wie Teenager ihren Kleiderschrank vor dem Festival? Das war die Zeit des “Hauptsache was Neues” – und ehrlich gesagt, nicht alles davon hat unser Herz begeistert. 

Doch vielleicht wird sich das bald wieder ändern. Die Branche hat offensichtlich erkannt: Qualität schlägt Quantität. Destillerien konzentrieren sich wieder auf die besseren Fässer, statt jeden mittelmäßigen Tropfen in eine schicke Flasche zu packen. 

Die Preisspirale: Fluch und Segen zugleich

Natürlich hängt das alles mit den explodierenden Preisen zusammen. Was früher 50 Euro kostete, will heute 80. Was gestern für 100 Euro zu haben war, kostet heute 150. Und Preise über 200 oder 300 Euro für halbwegs passable Abfüllungen waren die letzten Jahre keine Seltenheit. „Streng limitiert“ war das Zauberwort, mit dem man uns immer größere Beträge aus dem Geldbeutel zupfte. Die Whisky-Blase der letzten Jahre hat ihre Spuren hinterlassen – und viele Sammler sind müde geworden.

Aber die Krise hat auch ihre guten Seiten. Der reine Spekulant verschwindet vom Markt. Wer heute noch kauft, tut es aus Leidenschaft, nicht für den schnellen Profit.

Doch die Gier der Brennereien und Abfüller hat Konsequenzen gezeigt, über die man in Schottland noch gar nicht recht nachgedacht hat. Der Einstieg wird immer schwerer. Junge Whisky-Interessierte schauen sich die Preise an und greifen lieber zum Gin oder zu anderen Alternativen. Eine ganze Generation von Whisky-Kunden ging womöglich in jüngerer Zeit verloren, und es steht in den Sternen, ob sie wieder zurück kehren werden. 

International bestätigt: Die große Korrektur

Kein Wunder, dass in der Branche derzeit die Angst umgeht. Weltweit sehen wir die gleichen Trends:

Auktionswerte brechen um 50% ein

American Whiskey verzeichnet den ersten Rückgang seit über 20 Jahren

Scotch Whisky erlebt den “schlimmsten Einbruch seit Jahrzehnten”

Aber: Das Premium-Segment wächst weiter um 6%


Ein Blick in die Marktberichte der großen Konzerne bestätigt den Trend:  Brennerei-Abfüllungen sind genauso betroffen. Die Daten widerlegen die Annahme, dass nur Independent Bottler leiden. Selbst die größten Marken der Welt (Johnnie Walker, Chivas Regal, Glenlivet) verzeichnen zweistellige Rückgänge.

Single Malts besonders betroffen:

Single Malts fielen bei Diageo um 14% Global Market Insights - deutlich stärker als Blends (6%). Das passt zur Theorie, dass teure Premium-Produkte überproportional leiden.

Globales Phänomen:

Die Rückgänge betreffen alle wichtigen Märkte - USA, China, Europa.

Fazit:

Der Rückgang ist nicht auf Independent Bottler beschränkt. Sowohl große Brennereien als auch unabhängige Abfüller leiden unter dem gleichen Problem: Überhöhte Preise haben die Nachfrage massiv reduziert. Die großen Konzerne haben sogar den Vorteil eigener Lagerbestände - trotzdem brechen ihre Verkäufe ein.

Das zeigt: Es ist eine echte Marktkrise, nicht nur ein Problem kleiner Akteure.

Was bedeutet das für uns Genießer?

Die gute Nachricht: Wir bekommen besseren Whisky. Wenn heute eine neue Abfüllung auf den Markt kommt, stehen die Chancen gut, dass sie durchdacht ist. Die Zeiten der “Hauptsache limitiert”-Mentalität neigen sich dem Ende zu.

Die weniger gute Nachricht: Wir zahlen mehr dafür. Der erschwingliche Alltags-Whisky wird zur aussterbenden Art. Wer nicht bereit ist, 80+ Euro für eine Flasche zu zahlen, schaut oft in die Röhre.

Mein Fazit: Gesunde Korrektur mit Nebenwirkungen

Diese Entwicklung ist grundsätzlich gesund. Der Markt korrigiert sich selbst nach Jahren des Überflusses. Qualität gewinnt wieder gegen Quantität – und das ist gut so.

Aber – und das ist ein großes Aber – die Branche läuft Gefahr, sich vom Nachwuchs abzukoppeln. Wenn es keine erschwinglichen Einstiegswhiskys mehr gibt, woher sollen die Enthusiasten von morgen kommen?

Mein Wunsch für die nächsten Jahre: Mehr Mut zu ehrlichen 40-60 Euro Abfüllungen. Nicht alles muss eine “Premium Single Cask Selection” sein. Manchmal reicht ein gut gemachter Standard-Whisky, der Spaß macht ohne das Sparschwein zu schlachten.Dazu muss man in der Branche aber erst mal wieder umdenken lernen und den Weg zur Basis finden.

Was denkt ihr? Ist die große Whisky-Diät der richtige Weg, oder wird hier an der falschen Stelle gespart? 

Sláinte!


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