Lost Distilleries: nichts ist so beständig wie der Wandel

Seit bekannt wurde, dass die ehemaligen Brennereien Port Ellen, Brora und Rosebank wieder eröffnet werden sollen, wurde viel über den Sinn solcher Aktionen diskutiert. Sind das überhaupt noch die alten Brennereien? Oder ist das nichts weiter als ein Marketing-Gag? Doch Hand aufs Herz, wieviele Brennereien sind denn heute tatsächlich noch so, wie sie früher waren? Und wann war das überhaupt - "früher"? 



Je mehr neue Brennereien in den vergangenen fünf Jahren in Schottland eröffnet wurden, desto mehr haben mich die alten Brennereien interessiert. Denn Neues bedeutet immer auch Wandel, und Wandel kann man nur verstehen, wenn man den Blick zurück wirft.

Bei meinem letzten Schottland-Urlaub habe ich deshalb die Gelegenheit genutzt, und auch nach alten Brennereien Ausschau gehalten. Ich wollte dem Wandel auf die Spur kommen. Unterstützung erhielt ich dabei von Jens Fahr aus der Altstadtkneipe in Delitzsch, den viele von euch sicherlich von diversen Messebesuchen kennen. Jens hat seit Jahren ein Faible für alte Brennereien und ist bei diesem Thema ein wandelndes Lexikon.

Begonnen haben wir unsere Entdeckungstour bei Annandale. Die Brennerei liegt ja noch in den Lowlands, und ist relativ einfach zu erreichen. Gegründet wurde sie 2014, und seit Juni 2018 ist auch der erste Whisky von Annandale auf dem Markt. Aber vielleicht wäre es korrekter zu sagen: die Brennerei wurde wiederbelebt. Denn die Ursprünge der Brennerei reichen zurück ins Jahr 1836. Knapp 60 Jahre später wurde sie von den Alexander Walker gekauft, und 1918 dann leider geschlossen.


Bei Annandale gab es gleich ein erstes Highlight zu besichtigen. Bei den Bauarbeiten wurden die alten Fundamente der ursprünglichen Brennblasen wieder entdeckt, und man hat die Überreste dankenswerter weise erhalten.

Man kann hier sehr schön die Sockel der Brennblasen erkennen, und auch die darunter liegende Brennkammer ist sichtbar. Befeuert wurde direkt von unten, mit Kohle, und dabei gab es garantiert mächtig viel Rauch, der dann über den Schornstein dahinter in die Luft gepustet wurde. Abgaswerte hat man damals ja noch keine gemessen....


 
1896 wurde die Brennerei komplett umgebaut, die Brennblasen und das Stillhouse kamen an einen anderen Ort und wurden wohl auch deutlich vergrößert. 2011 war die Anlage in einem ziemlich verwahrlosten Zustand, und man hat noch einmal alles umbauen müssen. Ob der Whisky von 2019 wohl noch viel mit jenem Whisky gemeinsam hat, der 1836 hier erstmals gebrannt wurde?

Eine eindeutige Anwort haben wir auf diese Frage nicht gefunden, aber geschmeckt hat uns der Whisky von Annandale.  Das Neue, das hier aus dem Alten heraus entstanden ist, hat mich sehr beeindruckt, und die Tour durch die Brennerei hat uns auch sehr gut gefallen. 

 Unsere nächste Station war Glenturret Distillery. Die Brennerei wurde bereits 1775 gegründet, und ist deshalb ein Paradebeispiel für Veränderungen. Wir haben einen halben Tag damit verbracht, die Anlage von rechts nach links und von oben nach unten zu analysieren, überall herumzulaufen und mit alten Karten und Fotos zu vergleichen. Am Ende kamen wir zu dem Schluss: hier ist im Laufe der letzten 250 Jahre kaum ein Stein auf dem anderen geblieben.

Schaut man sich die Geschichte des Schottischen Brennerei-Wesens einmal genauer an, kann das eigentlich nicht verwundern. Heftige Krisenzeiten wechselten sich mit großartigen Boom-Phasen ab, auf Glanz-Zeiten folgten auch immer wieder Pleiten und Schließungen.

Als ob das nicht schon komplizert genug wäre. Doch erschwerend kommt noch hinzu, dass die Gesetzgebung immer wieder mit veränderten Vorschriften zu Brennblasen-Größe und Brennverfahren den Brennerei-Besitzern das Leben schwer gemacht hat. Bis 1784 mussten beispielsweise die Brennblasen mehr als 400 Gallonen fassen, nach 1786 durfte das Fassungsvermögen 40 Gallonen nicht überschreiten, und mehr als zwei Brennblasen pro Brennerei waren nicht zulässig. Das war schon ein gewaltiger Unterschied.

1816 mussten die Brennblasen dann wieder mindestens 500 Gallonen groß sein, und erst ab 1823 durfte jeder Brenner selbst entscheiden, wie groß die Brennblase denn nun sein sollte. Ob das den Whisky verändert hat? Mit Sicherheit. Doch was ist besser - große Brennblasen, kleine Brennblasen... oder ist es am Ende vielleicht gar nicht entscheidend?


 Besonders spannend und bislang kaum erforscht sind jene Brennereien, die vor 1800 gegründet wurden. Damals gab es noch keine Dampfmaschinen oder Dieselgeneratoren, die Brennereien wurden alle mit Wasserkraft betrieben. Oft kann man bis heute den Kanal (die sogenannte "Lade" oder "Sluice") entdecken, der die Wasserräder antrieb. Bei Dunira ist bis heute das imposante Wehr erhalten, und am Turret River haben wir sogar noch ein altes "Sluice-Gate", eine Art Kanal-Tor, entdeckt. Hier befand sich 1808 eine Brennerei, die heute längst vergessen ist. Die meisten dieser Brennereien wurden irgendwann stillgelegt, und sind im Laufe der Jahrzehnte langsam verfallen, aber noch immer lassen sich viele Überreste entdecken.

Überrascht hat mich vor allem die Größe der Anlagen aus jener Zeit. Die lustigen Marketing-Texte erzählen einem ja immer was von kleinen Farmbrennereien, und da hatte ich vollkommen falsche Vorstellungen entwickelt. Von wegen klein. Die Ausdehnungen der Brennereien waren damals beachtlich. Gut erhaltene Beispiele sind etwa Bonnietown, Duneira, Mains, oder Craigend.


 War der Whisky 1750 anders als 1808 oder als 1823? War er besser? War er schlechter? Ich muss ehrlich zugeben, ich weiß es nicht. Ist der Whisky von heute wirklich schlechter als früher? Und wie wird der Whisky von morgen sein? Welche Brennereien werden das nächste Jahrzehnt überleben? Auch das weiß ich nicht. Aber nichts ist so spannend wie Veränderung.










 

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