High Coast Distillery: Whisky und Weite am Ångermanälven

 


Manche Momente im Leben bleiben unvergesslich. Mein Besuch bei der schwedischen High Coast Distillery – mitten im Sommer, mitten im schwedischen Nirgendwo – war so ein Moment. 

Jens Drewitz von Sansibar Whisky hatte zu einer kleinen Presse-Reise zur High Coast Distillery eingeladen, und da ich über die Brennerei schon einige Lobeshymnen gehört hatte, musste ich nicht lange überlegen und bin mitgefahren. 

Stockholmer Auftakt 

Schon die Anreise war ein Versprechen: unsere kleine Truppe traf sich bereits am Vortag in Stockholm, wo wir uns bei einem gigantisch guten Abendessen in der Ardbeg Embassy und ein paar Drams auf das Thema „Whisky“ einstellen konnten. 

Danach ging es nach einem kleinen Spaziergang durch die Altstadt zu einem Absacker-Cocktail in die preisgekrönte Pharmarium Cocktail-Bar. Da ich mich immer gerne auf neue, spannende und ungewöhnliche Geschmacks-Abenteurer einlasse, wollte ich unbedingt den „Babylonian Exorcist“ probieren. Leider war er an diesem Abend ausverkauft, so dass ich mich mit dem glamourösen Baijiu-Coktail „Bubbles of Fortune“ trösten musste. Ich wurde nicht enttäuscht, der Drink ist aufregend anders, die stechenden Baijiu-Aromen von überreifer Ananas, Aprikosen und Birnen schlagen kräftig durch. Zudem waren die schwebenden Bubbles ein absoluter Hingucker und ein visuelles Spektakel.



Am nächsten Morgen ging es dann weiter mit dem Flugzeug zum Höga Kusten Airport, was übersetzt „Flugplatz der Hohen Küste“ heißt. Welche Bewandnis es mit der „Hohen Küste“ hat (auf Englisch „High Coast“ ), sollten wir später noch genauer erfahren. 

Willkommen am Fluss der Fässer -

Als wir die vielgerühmte hohe Küste nach etwa einer Flugstunde erreichten, hatte sich die Sommer-Sonne hinter einer dichten Wolkendecke versteckt,  und die Landschaft schimmerte in einem seltsam-magischen, silbrig-dämmrigen Licht. Und dann, beim Blick aus dem Fenster während des Landeanfluges, lag sie plötzlich unter mir: die High Coast Distillery. Die roten Backsteinmauern, der hohe Schornstein, die schimmernden Dächer waren unverkennbar. Und rundherum nichts als Wälder, Wasser und Raum zum Atmen.


Am Flughafen wurden wir bereits von Lars, dem Master Blender und Export Sales Manager der Brennerei, erwartet, und mit dem Auto ging es dann weiter. Der Weg schlängelt sich entlang dichter Fichtenwälder,  vorbei am glitzernden Wasser, hohen Bäumen und den typischen roten und weißen Holzhäusern. Genau so habe ich mir Schweden immer vorgestellt.

direkt am Ufer des Ångermanälven 

Nach einer Weile öffnete sich unversehens die Landschaft, und der Ångermanälven, einer der großen Flüsse Nordschwedens, breitete sich vor uns aus. „Hier wohn ich“, sagte Lars lakonisch, als wir am Wasser anhielten. Ein typisch schwedisches Haus, ein Motorboot, zwei Angelruten, eine Terasse mit einem Steg ins Wasser und eine Aussicht, die man für Geld nicht kaufen kann. Und auf der anderen Seite des Flusses die High Coast Distillery. Schöner könnte eine Filmkulisse selbst für einen schwedischen Midsommer-Krimi kaum sein.

Hav - Whisky zwischen Schären, Himmel und Meer

Bei einem ersten Dram auf der Terrasse hat Lars uns dann auf unseren Brennerei-Besuch eingestimmt. Der Whisky, den er uns einschenkte, war „Hav“, was übersetzt „Meer“ bedeutet. Passender hätte es kaum sein können. Denn ab hier weitet sich das Flussbett des Ångermanälven und verwandelt sich in eine malerische Schärenlandschaft, die schließlich ihren Endpunkt in der Ostsee findet. 


„Hav“ wird aus einer Kombination von getorftem und ungetorftem Malz hergestellt. Seine Aromen sind fruchtig-würzig, mit einem Hauch von Salzluft und Feuerholz. Auf der Zunge: pfeffriges Eichenholz und eine leichte Rauchigkeit. Am Horizont: wohltuende Stille. Die Art von Stille, die klingt. 

Während ich den Whisky und die traumhafte Idylle dieser Landschaft gleichermaßen genieße und die Weite des Wassers auf mich wirken lasse, erzählt mir Lars vom Fluss und seinen Menschen und wie die Brennerei zu ihrem Namen kam. Denn ursprünglich hieß die Brennerei nicht High Coast, sondern Box Destilleri, was bis heute immer wieder zu Verwirrung führt. 

„Früher hatten die Häuser auf der anderen Flussseite keine Fenster zum Wasser hin“, erklärt Lars. In bin neugierig und will mehr darüber wissen. Von Lars erfahre ich, dass der Fluss schon immer die Lebensader für die Menschen in dieser Region gewesen ist, doch sein Anblick war früher alles andere als malerisch. 

Millionen von gefällten Baumstämmen wurden jeden Sommer aus den dichten Wäldern im schwedischen Hinterland über den 460 km langen Fluss zu den Sägewerken an der Küste getrieben, und direkt gegenüber von Lars‘ Terasse, in dem kleinen Ort Sandslån, kamen alle Baumstämme zusammen. Denn dort befand sich einst eine der größten Holzsortieranlagen der Welt. Die Baumstämme wurden in diesem  „sorteringsverket“, wie man auf schwedisch sagt, von Flößern sortiert, die geschickt über die schwimmenden Stämme sprangen und mit langen Stangen hantierten, um Staus zu lösen und das Holz in die richtige Richtung zu dirigierenden. Der Fluss bedeutete für die Leute Lohn und Brot, aber auch harte und gefährliche Arbeit, und die wollte man lieber nicht sehen. Und plötzlich verstehe ich, was Lars mir sagen will: Hier fließt nicht nur Wasser. Hier fließt Geschichte.

Bild: Wikipedia 


 Ich stelle mir das Bild vor: ein endloses Gewimmel von treibenden Stämmen, Männer mit Hakenstangen, die über das schwimmende Holz balancieren, Kommandorufe, das Knarzen von Schleusentoren. Sandslån – heute ein verschlafener Ort mit gerade mal 270 Einwohnern – war damals das industrielle Herz der Region. Man sagt, manche der Arbeiter konnten allein am Geruch oder der Maserung erkennen, aus welchem Tal ein Stamm stammte. Jeder war markiert, ein besonderes Kennzeichen sagte aus, wem das Holz gehörte. Es muss ein lautes und emsiges Treiben auf dem Fluss geherrscht haben, und die Luft roch nach Holz, Harz, Ruß und Rauch. Von der Sortieranlage aus wurden die Baumstämme weiter geflößt, zu den Sägewerken, die sich im Mündungsbereich des Ångermanälven angesiedelt hatten. Eines dieser Sägewerke befand sich genau dort, wo heute die High Coast Distillery steht. 

Dieses Sägewerk war auf das Zusägen von Brettern für die Herstellung von Holzkisten (auf Englisch „Box“) spezialisiert, die nach England exportiert wurden, und wurde deshalb „Box AB“ genannt. Das Sägewerk verschwand irgendwann, der Name Box blieb. 1912 wurde an gleicher Stelle das „Box Kraftverk“ errichtet, ein holzbefeuertes Dampfkraftwerk, das die Holzsortierung in Sandslån mit Strom versorgte. Doch in den 1960er Jahren gab es immer weniger Holzstämme zu sortieren. Das Zeitalter des Plastik hatte begonnen. Irgendwann wurde auch das Kraftwerk nicht mehr gebraucht.

Zurück blieben der Wald, der Fluss und die Stille. 



Erst 2010 kehrte mit dem Umbau der historischen Gebäude zur Whisky-Brennerei neues Leben auf dem Box-Gelände ein. Im alten Maschinenhaus des ehemaligen Dampfkraftwerks pulsiert heute das Herz der High Coast Distillery – ein beeindruckendes Brennhaus, in dem schwedische Geschichte mit schottischen Kupferbrennblasen vereint wird.

2018 kam dann der Schock: ausgelöst durch den zunehmenden Bekanntheitsgrad der Brennerei kam es zu einem Markenrechtsstreit mit dem britischen Abfüller Compass Box, der eine Verwechslungsgefahr der Namen auf dem Whisky-Markt sah. Um langwierige juristische Auseinandersetzungen zu vermeiden und gleichzeitig die regionale Herkunft stärker zu betonen, benannte sich die Brennerei 2018 in High Coast Distillery um. 

„Kein guter Tausch“, werfe ich spontan ein, doch Lars belehrt mich eines besseren und erzählt mir, dass die Höga Kusten, die Hohe Küste, eine ganz besondere Landschaft ist. Denn die  Höga Kusten wächst – langsam, aber stetig. Rund acht Millimeter im Jahr hebt sich die Erde hier aus dem Meer, als würde sie sich mit jedem Atemzug ein klein wenig aufrichten. Das sind pro Tag 0,022 Millimeter oder etwa 2 Zentimeter in 2,5 Jahren. Und im Verlaufe eines Menschenleben steigt die Küste etwa 60 Zentimeter an. 

Während wir unseren  Dram auf der Terrasse von Lars genießen, stehen wir tatsächlich auf wachsendem Grund und werden unmerklich nach oben gehoben. Diese Erhebung ist so einzigartig, dass die Region  im Jahr 2000 zum UNESCO-Weltnaturerbe ernannt wurde. Der Name “High Coast” ist also keineswegs Marketinggetöse, sondern eine direkte Hommage an diese einzigartige Küstenlandschaft. Die tektonische Bewegung, diese Kraft des Landes, soll sich auch im Whisky widerspiegeln.




Nach ein paar Minuten des stillen Genusses  stiegen wir wieder in den Wagen und nach einem kurzen Zwischenstopp im Hotel ging es weiter ins Herz der Höga Kusten, zur High Coast Distillery.

Die Brennerei liegt direkt am klaren, eiskalten Ångermanälven, dessen Wasser nicht nur die Landschaft prägt, sondern auch zur Kühlung der Destillation dient und wohl eines der kühlsten Kühlwasser-Systeme der Whiskywelt ist.

Brennblasen und Eichenholz – Die Tour durch Herz und Seele

Bei unserer Ankunft hatte sich die Sonne endgültig verzogen, und Dauerregen stellte sich ein. Um der Nässe zu entgehen, flüchteten wir uns zunächst in das Brennhaus, das schon beim ersten Anblick beeindruckt: der Eingangsbereich besteht aus einem hohen, lichtdurchfluteten Raum mit großen Fenstern, die den Blick auf den mächtigen Ångermanälven freigeben. Über eine Stahltreppe gelangt man in den eigentlichen Brennraum, wo zwei Paar elegante Pot Stills aus Kupfer glänzen, die in Schottland gefertigt wurden und an klassische Speyside-Brennblasen erinnern. Zwischen den Stills thronen auf beiden Seiten des Raums die jeweils dazu gehörigen Spirit Safes, durch die bei unserer Ankunft gerade das frische Destillat lief. 

Seit der Erweiterung  2018 werden hier jährlich bis zu 300.000 Liter Alkohol destilliert. Gebrannt wird mit nordischer Akribie und Geduld: ungetorft mit sehr frühem Cut für fruchtige Klarheit, torfig mit spätem Cut für feine Rauchnoten. Die Gärzeiten sind ungewöhnlich lang (durchschnittlich über 80 Stunden), um reiche Aromen zu entfalten. Das verwendete Wasser stammt aus einem nahegelegenen Quellsee, gefiltert durch Sand und Kohle. Im Brennhaus der High Coast verschmelzen Technik, Handwerk und Natur zu einem nordischen Whisky, der so klar, direkt und ehrlich ist wie der Fluss, an dem er entsteht.



Danach ging es in die Lagerhallen, wo hunderte von Whisky-Fässern in Kühle und Dunkelheit schlummern. Hier erklärte uns Lars, dass das Mikroklima der Hohen Küste mit seinen extremen Temperaturschwankungen von -30 bis +30 °C  für eine besonders intensive Reifung sorgt. 

Die +30°C konnte ich mir allerdings an diesem Tag nur schwerlich vorstellen, es blieb kühl und regnerisch, und auch beim Warehouse-Tasting am Abend war es verdammt chillig im Lagerhaus. Da aber bei Regen der Whisky doppelt so gut schmeckt, verbrachten wir den Rest des Tages auf dem Whisky-Festival, das an diesem Wochenende auf dem Brennereigelände stattfand. 

Am nächsten Tag erwartete uns noch ein besonderes Highlight: bei einem VIP Tasting durften wir bereits einige Vorab-Versionen von kommenden Releases probieren. Leider darf ich noch nichts dazu schreiben, aber ich kann euch schon mal verraten, das man bei High Coast derzeit ein paar richtige Schätzchen in der Entwicklungs-Pipeline hat. Von vollmundig über kräftig bis hin zu wunderbar elegant reichte die Skala, und  PX- und Oloroso-Fässern waren ausreichend in den Rezepturen enthalten. Was das Alter anbelangt, sind Abfüllungen mit 10 oder 12 Jahre altem Whisky inzwischen auch kein Problem mehr. Von der „3Jahre-und-ein-Tag“-Formel, die wir früher bei vielen jungen Brennereien finden konnten, hat man sich bei High Coast längst verabschiedet. 



Die nächsten Monate werden neben den Standards auch einige sehr gelungene besondere Abfüllungen auf den Markt kommen, haltet also einfach mal die Augen auf. 




High Coast in Zahlen

Jährliche Produktionskapazität: 300.000 Liter (zum Vergleich: die Kapazität von Springbank liegt bei etwa 500.000 Liter) 

1 Maische-Bottich (semi-lauter): Kapazität 1,5 Tonnen 

10 Edelstahl-Gärtanks

2 Raubrand-Brennblasen, je 3.800 Liter 

2 Feinbrand-Brennblasen, je 2.500 Liter 

Fermentationszeit 72 bis 96 Stunden 


Zum Abschluss noch ein paar Foto-Impressionen: 











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