Whiskyhelden: Die Suche nach der Ecclefechan Distillery

Am 19. Januar 1829 steht Brennerei-Besitzer John McVitie in Edinburgh vor Gericht. Er soll die Ecclefechan Distillery in Schutt und Asche gelegt haben. Doch der Prozess nimmt eine Wendung, mit der niemand gerechnet hat. 190 Jahre später begeben sich zwei deutsche Whisky-Nerds auf Spurensuche.  
Spezialisten für alte Abfüllungen und Brothers in Crime: Jens Fahr und Gregor Haslinger

Gewöhnliche Touristen, die nach Dumfries reisen, besichtigen das Robert Burns Mausoleum, das Devil's Porridge Museum, den Lockerbie Garden of Remembrance oder die Annandale Distillery. Doch Jens Fahr  und Gregor Haslinger sind keine gewöhnlichen Touristen. Sie sind Whisky History Buffs und Jäger des verlorenen Schatzes. Seit Jahren  jagen sie die verborgenen Überreste der reichhaltigen schottischen Whisky-Geschichte, ehe diese gänzlich vom Winde verweht und von Bulldozern platt gemacht werden.

Auch bei Dumfries gibt es einen solchen Schatz.  Denn hier, nur 7 Meilen von der Grenze zu England entfernt und nur 6 Meilen von der neuen Annandale Distillery, befinden sich irgendwo noch die letzten Überreste der Ecclefechan Distillery. Und die wollen Jens und Gregor finden.

Ecclefechan Distillery



Ein besonders langes Leben war der Ecclefechan Distillery nicht vergönnt. Gerade einmal vier Jahre lang, von 1824 bis 1828, hat sie existiert, und bisher ist nicht allzu viel über sie bekannt. Also, genau genommen ist eigentlich nichts über sie bekannt. Doch das ausgiebige Wühlen in alten online-Archiven hat eine Geschichte zu Tage gebracht, die so skurril und eigenartig ist, wie sie nur in Schottland passieren kann.

Und eine solche Geschichte muss erzählt werden. Denn sie ist tatsächlich passiert.

Gegründet und erbaut wurde die Ecclefechan-Brennerei im Sommer 1824. Damals herrschte eine euphorische Aufbruchstimmung bei den schottischen Whiskybrennern, ständig kam irgendwo eine neue Brennerei dazu. Ein bißchen war es damals wohl wie heute.

Doch schon drei Monate später geriet der Besitzer von Ecclefechan, James Robert Marshall, unter Druck. Im Oktober 1824 bot er seine Brennerei zum Verkauf an. Sie war zu diesem Zeitpunkt  komplett eingerichtet, mit "stills, boilers, coolers and the whole apparatus and machinery". In der dazu gehörenden Mälzerei  lagen zu diesem Zeitpunkt 4.908 Bushel bestes Gerstenmalz.

Offensichtlich fand Marshall  keinen passenden  Käufer, im Dezember annocierte er die Brennerei erneut. Die Grenzlage hat ihm scheinbar Probleme bereitet. Er darf seinen Whisky nicht ins nahe gelegene England verkaufen, und im schottischen Hinterland ist die Konkurrenz größer, als er dachte. Auch für die benachbarte Dumfries Distillery sieht es zu diesem Zeitpunkt schlecht aus.

Der Name hat überlebt: "The Fechan" Blended Whisky der Ecclefechan Whisky Company. Foto: Jens Fahr


Notgedrungen betreibt Marshall die Brennerei bis zum Sommer 1825 weiter. Dann bietet er sie erneut zum Verkauf an. Es soll bis zum Ende des Jahres 1826 dauern, ehe der 28 jährige Spirituosenhändler John McVitie aus Dumfries-Hoddam die Ecclefechan Distillery übernimmt.

Doch die wirtschaftliche Lage bessert sich nicht. Im Gegenteil. Durch eine Änderung der staatlichen Geldpolitik geben die Banken ab ca. 1825 kaum noch kleine Geldscheine aus, und verweigern Kleinkredite, die sie zuvor großzügig gewährt hatten.

Die Kaufkraft der Bevölkerung ging damals über Nacht rapide zurück, die Brennereien blieben auf ihrer Ware sitzen. Hinzu kam eine Überproduktion aufgrund der wachsenden Anzahl von Brennereien. Als Folge brachen ab Ende 1825 / Anfang 1826 die Preise dramatisch ein, und gingen von durchschnittlich 16 oder 17 Shilling pro Gallone auf 9 Shilling zurück. Die Brennereien konnten kaum noch kostendeckend arbeiten.

Die Katastrophe

Bereits im März 1827 stellt John McVitie die Whisky-Produktion ein, und inseriert die Brennerei in der Zeitung. Einen Käufer fand er jedoch nicht. Im September 1827 ist der junge Mann bankrott, und eine Zwangsversteigerung wird anberaumt. Doch noch  immer will niemand die Brennerei haben. Die Wirtschafts- und Finanzkrise bremst den Investitionswillen der Leute.

Am Samstag, den 4. Oktober 1828, passierte es dann: die Brennerei ging nachts in Flammen auf. Durch einen glücklichen Umstand wurde das Feuer frühzeitig entdeckt, und aus den umliegenden Häusern stürmten viele unerschrockene Helfer herbei, die beherzt den Brand bekämpften. Dennoch wurde etwa ein Drittel der Anlage zerstört, darunter auch das Brennhaus. Auch einige Nachbarhäuser wurden ein Opfer der Feuersbrunst.

Befinden sich hier etwa noch die Überreste der alten Brennerei? Das ganze Dorf rätselt inzwischen mit. Foto: Gregor Haslinger
Wenige Tage später sollte John McVitie selbst der Boden unter den Füßen brennen. Eine nachfolgende Untersuchung brachte zu Tage, dass das Feuer vorsätzlich gelegt worden war. Mehr als ein dutzend Holzstapel waren im Inneren der Anlage aufgestapelt und angezündet worden, von denen sich das Feuer in Windeseile ausbreitete. John geriet unter Verdacht. Weihnachten 1828 verbrachte er  im Gefängnis.

Am Montag, den 19. Januar 1829, musste sich John McVitie wegen vorsätzlicher Brandstiftung dem Gericht stellen.  Es sah denkbar schlecht für ihn aus. Ihm wurde nicht nur Brandstiftung zur Last gelegt, sondern auch versuchter Betrug der Londoner Versicherungsgesellschaft Phoenix Assurance Company. John plädierte auf Unschuld, und sein Anwalt hielt ein langwieriges Plädoyer.

Doch dann geriet die Verhandlung plötzlich ins Stocken, und Aufregung machte sich breit im Gerichtssaal. Dem Gerichtsschreiber war ein Fehler unterlaufen: die Anklageschrift enthielt einen anderen Wortlaut als die Kopie der Anklageschrift, die dem Angeklagten überreicht worden war.

Nach einigem Tumult wurde die Verhandlung für beendet erklärt, und John McVitie konnte vorläufig den Gerichtssaal verlassen. Zur Neuverhandlung ist er nicht mehr erschienen. Man hat danach nie wieder etwas von ihm gehört...





Nur wenige Monate später kam endlich der lang ersehnte wirtschaftliche Aufschwung. Im Sommer 1828 stieg die Nachfrage nach Whisky wieder drastisch an. Brennereien, die die Krise überlebt hatten, kamen kaum mit der Produktion hinterher. Doch für die Ecclefechan Distillery kam die Wende zu spät. Ihr weiteres Schicksal verliert sich danach im Dunkel der Geschichte.



Doch damit ist die entscheidende Frage immer noch nicht geklärt: wo genau stand die Ecclefechan Distillery eigentlich?

Vor ein paar Wochen ist Jens Fahr eigens nach Ecclefechan gefahren, um das heraus zu finden und nach baulichen Überresten zu suchen. Ganz so schlimme Abenteuer wie Indiana Jones hat er dabei zwar nicht erlebt, aber mittlerweile hat er den halben Ort mit seiner Neugier angesteckt.

Mit Hilfe von alten Fotos versucht man jetzt in Ecclefechan,  die möglichen Überreste der alten Brennerei wieder zu entdecken. Und ein Bewohner hat sogar eine Kamera-Drone eingesetzt, um vielleicht aus der Luft eindeutige Hinweise zu finden.

Ob Jens und Gregor das letzte Rätsel um die Ecclefechan Distillery wohl lösen werden? Ich bin da eigentlich ganz zuversichtlich....


Nach diesem kurzen Ausflug in die Whisky-Geschichte geht es im nächsten Post endlich mit dem letzten Teil der Special Releases weiter: Carsebridge 48.

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