Interview der Woche: Gregor Haslinger, Whisky Spirits, über die Special Releases 2020
Die Special Releases von Diageo sind trotz der teilweise heftigen Preise noch immer ein Highlight im jährlichen Whisky-Kalender. Gregor Haslinger, Inhaber von Whisky Spirits und Spezialist für alte und besondere Abfüllungen, wird in diesem Jahr ein Online-Tasting mit einigen der besonderen Abfüllungen anbieten. Im Interview hat er über die Probleme der Special Releases geplaudert und zwei seiner diesjährigen Favoriten beschrieben.
MM: Gregor, bedingt durch die erneuten Covid-19-Einschränkungen wurden viele Tastings abgesagt. Gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit, die diesjährigen Abfüllungen der Special Release in einem Tasting probieren zu können?
Gregor: Dem Lock-Down Dilemma und nicht durchführbaren Versammlungen wollen wir mit einem Online-Tasting im Rahmen der Special Releases begegnen. Dieses werden wir zusammen mit Thomas Plaue, dem Brandambassador von Diageo am 27. November durchführen. Wir haben die fünf „preiswerteren“ Abfüllungen aus diesem Jahr kombiniert mit drei Highlights aus früheren Jahren, zu Gunsten von mehr Abwechslung und vielleicht entstehenden Aha-Effekten. Tatsächlich hat mich die sehr große Ähnlichkeit der Auswahl von Diageos diesjährigen Abfüllungen im Vergleich zu letztem Jahr etwas enttäuscht (und zum Teil auch die Preispolitik).
MM: Welche drei Abfüllungen waren denn in diesem Jahr deine drei Favoriten?
Gregor: Meine drei Favoriten sind dieses Jahr Cardhu, Cragganmore und der Talisker. Bei allen dreien stimmen meiner Meinung nach Ausstattung, Preis und Geschmackserlebnis in Relation!
MM: Gab es auch Abfüllungen, die dich enttäuscht hatten?
Gregor: Von Seiten der Qualität gab es gewiss keine Beanstandungen! Allerdings, wenn man die Anzahl zur Verfügung stehender Brennereien betrachtet und die Auswahl davon, die als Special Releases abgefüllt wurden, gerade auch im Vergleich zu letztem Jahr, fragt man sich, warum nicht für mehr Abwechslung gesorgt wird - das Portfolio bietet doch so viel mehr, als schon wieder einen Lagavulin, Talisker, Dalwhinnie, Pittyvaich oder Mortlach…
Bitte nicht falsch verstehen: Das sind alles wunderbare Abfüllungen, tolle Brennereien und man kann sich sehr darüber freuen! Aber was ist denn mit z.B. Blair Athol, Dailuaine, Glenlossie, Linkwood, Royal Lochnagar, Strathmill, ganz zu schweigen von Rosile oder den Geister-Brennereien Banff, Coleburn, Glenesk, Glenury Royal oder St. Magdalen, wenn es etwas spezieller sein darf (was der Name der Serie eigentlich suggeriert)?
Ebenfalls enttäuschend die Preisfindung mancher Abfüllung! Heutzutage kann man sich leicht am Markt orientieren und erkennen, welche Margen realistisch, aber auch realisierbar sind, alleine schon beim Vergleich mit Fremdabfüllern. Bei Diageo habe ich gelegentlich das Gefühl, daß die Firma mit Ihrer Preispolitik versucht, den Markt zu testen, wie weit sie gehen können.
Und dabei bin weder ich bereit, noch sind es meine Kunden, alles auszureizen - zumindest sollte ein Gefüge zwischen Ausstattung und Preis in angemessener Relation stehen, der geschmackliche Aspekt kommt natürlich dann auch noch hinzu. Die Preise haben in den vergangenen Jahren ja ziemlich heftig angezogen, und auch die Zusammensetzung der Special Releases hat sich über die Jahre verändert.
MM: In den diversen Facebook-Gruppen ist die Begeisterung inzwischen ziemlich verhalten. Haben die Special Releases an Attraktivität verloren? Sind sie inzwischen nur noch für Anleger interessant oder bieten sie immer noch interessante Tropfen, bei denen es sich lohnt, sie zu erwerben, um sie zu öffnen und zu genießen?
Gregor: Es ist und wird wohl immer sein: Ein Spagat, es allen Recht zu machen - tatsächlich gefallen mir die zum Teil recht aufwendig gestalteten Umverpackungen, die sicherlich auch ein paar Euro kosten - aber ein bisschen will nicht nur der Gaumen, sondern manchmal auch das Auge verwöhnt werden! Als Sammelobjekte zieren sie auf jeden Fall das Whisky-Regal! Wir erinnern uns an die dezente Aufmachung der Vorgänger-Serie von Diageo, den RareMalts - da war es eher schlichtes Understatement - auf Dauer etwas dröge!
Viel wichtiger aber ist der Inhalt: Wie immer Geschmacksache - aber trotzdem wird die Serie meist Ihrem Anspruch gerecht, die Tropfen sind in der Regel speziell oder besser gesagt besonders und deswegen spannend zu probieren, meist lecker zu genießen!
Und an dieser Stelle bricht dann häufig wieder der Preis den ungetrübten Forschergeist! Leider kann ich es mir nicht leisten und die meisten meiner Kunden auch nicht, einen mit-zwanzigjährigen Mortlach für über 2.500,- € aufzureißen (siehe Special Releases 2019) zum Verzehr, um so weniger, wenn ein paar Meter weiter links bei mir im Laden-Regal ein ähnlich ausgestatteter von Gordon&MacPhail für einen Bruchteil des Preises steht.
Ich versteige mich sogar zu der Behauptung, daß sich die Preisdifferenz von weit über 2.000,- € zwischen beiden Abfüllungen bei wenigen Promille Alkoholdifferenz und einem Jahr kürzerer Lagerung geschmacklich nicht nachvollziehen läßt - ja, sicher, da ist ein erheblicher Erlebnis-Unterschied - aber…!
MM: Welche der diesjährigen Abfüllungen sind denn noch erhältlich – oder ist inzwischen schon alles ausverkauft?
Gregor: Bei uns im Laden im Moment noch ein paar Flaschen vom Talisker und vom Dufftown. Die anderen sind alle schon ausgeflogen - Nachschub gibt es leider nicht mehr.
MM: Es scheint also, als habe man aufseiten von Diageo alles richtig gemacht. Der Markt saugt derzeit ja (fast) alles auf, egal wie teuer. Gibt es inzwischen andere, besondere Abfüllungs-Reihen, die es an Attraktivität mit den Special Releases von Diageo durchaus aufnehmen können oder eine interessante Alternative darstellen? Oder sind die Special Releases noch immer das „Nonplusultra“?
Gregor: Deine Frage implementiert die Idee, Whisky als Wertanlage sammeln zu wollen - meiner Meinung nach existieren diesbezüglich schier unendliche Ansätze, man sollte seinen eigenen Interessen folgen und sich nicht von einem Konzern abhängig machen, um sich sein ganz individuelles Whisky-Imperium aufzubauen!
MM: Die Sammelleidenschaft beim Whisky scheint sich seit einiger Zeit wie ein grassierender Virus auszubreiten. Dennoch ist Whisky in erster Linie zum Genießen da. Kommen wir also zur wichtigsten Frage: wie schmecken die Special Releases in diesem Jahr? Würdest du deine Tasting-Notes von deinen drei diesjährigen Favoriten mit uns teilen?
Gregor: Gerne. Den Talisker hast du ja selbst schon im Blog beschrieben. Meine beiden anderen Favoriten waren Cardhu und Cragganmore.
1. Cardhu, 11 Jahre, 56%, Special Release 2020
Farbe: Blaßgolden
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