Jäger des verlorenen Schatzes (Teil 2): Gespräch mit Jens Fahr, Altstadtkneipe Delitzsch
Vor ein paar Tagen hatte ich euch Gregor Haslinger vorgestellt, der seit vielen Jahren Experte für "Lost Distilleries" ist. Doch er ist nicht der einzige, der sich diesem ungewöhnlichen Hobby verschrieben hat. Auch Jens Fahr aus der Altstadtkneipe No 2 in Delitzsch ist ein wahrer Jäger der verlorenen Brennblasen-Schätze...
Begonnen hat meine Suche nach den "lost distilleries" Anfang bis Mitte der 1990er Jahre. Anfänglich war das "nur" ein Zusammentragen von sonst nicht zugänglichen Informationen zu den in den 80er Jahren geschlossenen Destillen: Port Ellen, St. Magdalene, Glen Mhor, Glen Albyn, Rosebank etc.
Wir erinnern uns: den Whisky konnte man damals noch gut und günstig kaufen. Informationen dazu, insbesondere zu den Destillen, bekamst Du jedoch fast keine. Das Internet existierte noch nicht. Die wenigen Whisky-Bücher offenbarten nur hie und da mal einen Zweizeiler zu einer der Destillerien, Diageo (damals noch United Distillers) machte keine Verlautbarungen dazu, Schobert's "Whisky-Lexikon" gab’s noch nicht - erst ab 1997 begann mit seiner "Whisky Watch" wenigstens EINE Quelle etwas regelmäßiger (wenn auch in unserem Thema ebenso spärlich!) zu sprudeln...
Annandale Distillery©MargareteMarie |
MM: Jens, du bist – ebenso wie
Gregor Haslinger – inzwischen ein Spezialist auf dem Gebiet der "Lost
Distilleries". Wie lange beschäftigst du dich schon mit diesem Thema?
Begonnen hat meine Suche nach den "lost distilleries" Anfang bis Mitte der 1990er Jahre. Anfänglich war das "nur" ein Zusammentragen von sonst nicht zugänglichen Informationen zu den in den 80er Jahren geschlossenen Destillen: Port Ellen, St. Magdalene, Glen Mhor, Glen Albyn, Rosebank etc.
Wir erinnern uns: den Whisky konnte man damals noch gut und günstig kaufen. Informationen dazu, insbesondere zu den Destillen, bekamst Du jedoch fast keine. Das Internet existierte noch nicht. Die wenigen Whisky-Bücher offenbarten nur hie und da mal einen Zweizeiler zu einer der Destillerien, Diageo (damals noch United Distillers) machte keine Verlautbarungen dazu, Schobert's "Whisky-Lexikon" gab’s noch nicht - erst ab 1997 begann mit seiner "Whisky Watch" wenigstens EINE Quelle etwas regelmäßiger (wenn auch in unserem Thema ebenso spärlich!) zu sprudeln...
Also
war man auf eigene Recherchen angewiesen. Aber auch die gestalteten
sich schwierig: gab es doch auch die Mitarbeiter jener geschlossenen
Brennereien, die etwas hätten erzählen können, nicht mehr. Oder
vielleicht gab es sie noch. Aber sie zu finden, sie namentlich
ausfindig zu machen und dann auch noch in mittlerweile anderen
Brennereien aufzustöbern, war fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Also
begab ich mich in Schottland selbst auf Spurensuche. Ich besuchte
Banff, Brora, Dallas Dhu, Littlemill, und bei dieser Suche stieß ich
auch auf verschlungenen Pfaden auf andere "geschlossene" Brennereien,
z.B. Burntisland, und entdeckte irgendwann – so um 1998/ 1999 – in
einer kleinen Bücherei in Aberfeldy eine Ausgabe von "Hume & Moss:
The Making of Scotch Whisky"... Und spätestens da war es dann um mich
geschehen.
Craigend Distillery©MargareteMarie |
MM: Wieviele Ghost Distilleries hast du schon besucht bzw. lokalisieren können?
Inzwischen
habe ich (denke ich) alle Brennereien, die in dem Buch von Moss &
Hume noch mit "exact location unknown" beschrieben wurden, lokalisieren
können. Und ich habe viele Orte in Schottland besucht, die ich ohne die
Beschäftigung mit den "Losts" nie gesehen hätte.
MM: Warum machst du das? Was treibt dich an?
Ebenso wie bei Gregor Haslinger war es auch bei mir
anfänglich so, daß ich für Tastings in meinem Hause aussagekräftige Informationen suchte, um den Tasting-Teilnehmern die eine oder andere Geschichte
erzählen zu können, die man noch nicht zum 97. Male gehört hat.
Später verselbständigte sich das.
Ich begann auch, die wohlbekannten Marketing-Geschichten der Brennereien kritischer zu hinterfragen. Und dabei stellte sich recht häufig heraus: das sind zwar Geschichten, aber keine Geschichte! Und etwas weiteres fiel mir auf, was mich zusehends ärgerte: fast keiner der bekannten Whisky-Autoren hat seine Fakten selbst recherchiert. Meist schreibt tatsächlich nur einer vom anderen ab. Und so verfestigen sich jene erzählten Geschichten zu Geschichte. Und das ist ärgerlich. Vor allem, weil sie recht häufig ein falsches Bild zeichnen…
Inzwischen bin ich aber nicht mehr ganz so fanatisch, wie ich es noch vor Jahren war – meist lächle ich heute über solcherart Geschichten. Oder ich tausche mich mit Gleichgesinnten und Weggefährten wie mit dir oder mit Gregor Haslinger darüber aus. Das Schöne daran ist: jeder von uns hat eine eigene, ganz individuelle Herangehens- und Sichtweise. Und selbst innerhalb dieser doch sehr speziellen Passion setzt jeder von uns völlig andere Schwerpunkte oder Themen in den Fokus. Diese so anderen Betrachtungsweisen ergänzen die eigene Sicht so wunderbar. Sie ermöglichen, über den eigenen Horizont hinauszuschauen, zu neuen, zu anderen Erkenntnissen zu gelangen oder sich einer Destillerie-Geschichte von einer gänzlich anderen Seite zu nähern.
Heute habe ich zum Whisky, seiner Produktion und seiner Vergangenheit eine ganz andere Sicht als noch vor 20 Jahren… Ich höre oder lese ja recht häufig, daß viele Whisky-Liebhaber durch ihre Vor-Ort-Besuche der Destillerien oder durch ihr gewachsenes Verständnis über den Whisky und seine Geheimnisse ihre romantische Sicht auf die schottische Whisky-Industrie verloren hätten. Das kann ich bei mir überhaupt nicht feststellen.
Vielleicht hat es aber eben auch damit zu tun, daß man bei der Recherche stets und ständig in eine Art Phantasiewelt eintaucht, Puzzle-Stücke zu einem Bild zusammenzusetzen versucht, mögliche Handlungsstränge entwickelt, hinterfragt und wieder verwirft – oder eben zu einer Geschichte zusammenbaut, die schlüssig und relativ nahe an der wirklichen Vergangenheit ist. Das ist schon romantisch… Auch wenn die Recherche selbst manchmal eher Mühsal und ermüdend ist.
Doch gerade letzteres ist ja auch ein Grund meiner Beschäftigung damit: da ich Gastwirt bin, hält mein Feierabend eher selten die üblichen Zertreuungen anderer Tagesabläufe parat. Und so nutze ich die Beschäftigung mit der Whisky- oder Destillerie-Geschichte eben auch, um von meinem Tagesgeschäft „herunter zu kommen“, mich zu entspannen, anderes zu tun, anderes zu denken…
Und man darf die Glücksgefühle dabei nicht vergessen, die man empfindet, wenn man eine bisher unbekannte Brennerei findet, eine andere endlich lokalisieren kann, das nächste Bausteinchen entdeckt, um an der Geschichte einer weiteren weiterzuschreiben. Ja, das macht glücklich… Was also treibt mich an? Warum mache ich das? – Es ist Zeitvertreib. Es ist entspannend. Es ist spannend. Es ist Hobby, Passion, manchmal auch Obsession… Es ist in gewisser Weise eine Sucht. Es ist Vorbereitung auf den nächsten Schottland-Urlaub (ich will ja meine Erkenntnisse auch mit der Realität versuchen abzugleichen!) Es ist kreativ. Und es macht nicht dümmer.
MM: Welche Schwierigkeiten stellen sich dir bei deiner Suche immer wieder in den Weg?
Auch hier kann ich nur wieder auf Gregors Antwort verweisen – wir scheinen die gleichen Erfahrungen zu machen… Aber wie Gregor schon sagte: unser größtes Problem ist die Zeit. Und ich würde hier nur noch einen weiteren Aspekt mit ins Spiel bringen wollen – nämlich den UNSERER ZEIT.
Da wir ja alle einer geregelten Tätigkeit nachgehen, die uns eigentlich auch vollumfänglich ausfüllt, bleibt halt nie genügend Zeit, um sich den schönen Geschichten aus der Vergangenheit zu widmen. Und manchmal stellt sich dann auch die Frage: will die denn überhaupt jemand hören?
Ansonsten sehe ich Schwierigkeiten zumeist nur bei mir selber. Wir wissen häufig so viel mehr als das, was bereits veröffentlicht oder bekannt ist. Schwierig ist es oft, die Fülle zu bändigen, die verschiedenen Fäden einer Geschichte zusammen zu halten, den historischen Kontext im Auge zu behalten, sich gedanklich in jene Zeit hineinzuversetzen…
Und über den Rand der Mash Tun unserer jeweiligen Destille hinauszudenken - denn ganz oft ist es so wie heute: unsere Protagonisten spielen nicht nur im aktuellen Stück ihre Rolle. Meist waren sie vorher schon anderswo oder später wiederum ganz woanders aktiv. Und bei reichlich 1.000 „Ghost Distilleries“ und inzwischen mehr als 500 Jahren Whisky-Geschichte ist es eben nicht immer einfach, den Überblick zu behalten.
MM: Ich wünsche dir, dass du trotz der vielen Recherche-Arbeit den Durchblick nie verlierst. Vielen Dank für dieses Interview.
Mehr zum Thema "Lost Distilleries" könnt ihr im Whisky-Botschafter 4-2019 lesen.
Und hier findet ihr Jens:
Altstadtkneipe No 2
Mühlstraße 2,
04509 Delitzsch
Ich begann auch, die wohlbekannten Marketing-Geschichten der Brennereien kritischer zu hinterfragen. Und dabei stellte sich recht häufig heraus: das sind zwar Geschichten, aber keine Geschichte! Und etwas weiteres fiel mir auf, was mich zusehends ärgerte: fast keiner der bekannten Whisky-Autoren hat seine Fakten selbst recherchiert. Meist schreibt tatsächlich nur einer vom anderen ab. Und so verfestigen sich jene erzählten Geschichten zu Geschichte. Und das ist ärgerlich. Vor allem, weil sie recht häufig ein falsches Bild zeichnen…
Inzwischen bin ich aber nicht mehr ganz so fanatisch, wie ich es noch vor Jahren war – meist lächle ich heute über solcherart Geschichten. Oder ich tausche mich mit Gleichgesinnten und Weggefährten wie mit dir oder mit Gregor Haslinger darüber aus. Das Schöne daran ist: jeder von uns hat eine eigene, ganz individuelle Herangehens- und Sichtweise. Und selbst innerhalb dieser doch sehr speziellen Passion setzt jeder von uns völlig andere Schwerpunkte oder Themen in den Fokus. Diese so anderen Betrachtungsweisen ergänzen die eigene Sicht so wunderbar. Sie ermöglichen, über den eigenen Horizont hinauszuschauen, zu neuen, zu anderen Erkenntnissen zu gelangen oder sich einer Destillerie-Geschichte von einer gänzlich anderen Seite zu nähern.
Heute habe ich zum Whisky, seiner Produktion und seiner Vergangenheit eine ganz andere Sicht als noch vor 20 Jahren… Ich höre oder lese ja recht häufig, daß viele Whisky-Liebhaber durch ihre Vor-Ort-Besuche der Destillerien oder durch ihr gewachsenes Verständnis über den Whisky und seine Geheimnisse ihre romantische Sicht auf die schottische Whisky-Industrie verloren hätten. Das kann ich bei mir überhaupt nicht feststellen.
Vielleicht hat es aber eben auch damit zu tun, daß man bei der Recherche stets und ständig in eine Art Phantasiewelt eintaucht, Puzzle-Stücke zu einem Bild zusammenzusetzen versucht, mögliche Handlungsstränge entwickelt, hinterfragt und wieder verwirft – oder eben zu einer Geschichte zusammenbaut, die schlüssig und relativ nahe an der wirklichen Vergangenheit ist. Das ist schon romantisch… Auch wenn die Recherche selbst manchmal eher Mühsal und ermüdend ist.
Doch gerade letzteres ist ja auch ein Grund meiner Beschäftigung damit: da ich Gastwirt bin, hält mein Feierabend eher selten die üblichen Zertreuungen anderer Tagesabläufe parat. Und so nutze ich die Beschäftigung mit der Whisky- oder Destillerie-Geschichte eben auch, um von meinem Tagesgeschäft „herunter zu kommen“, mich zu entspannen, anderes zu tun, anderes zu denken…
Und man darf die Glücksgefühle dabei nicht vergessen, die man empfindet, wenn man eine bisher unbekannte Brennerei findet, eine andere endlich lokalisieren kann, das nächste Bausteinchen entdeckt, um an der Geschichte einer weiteren weiterzuschreiben. Ja, das macht glücklich… Was also treibt mich an? Warum mache ich das? – Es ist Zeitvertreib. Es ist entspannend. Es ist spannend. Es ist Hobby, Passion, manchmal auch Obsession… Es ist in gewisser Weise eine Sucht. Es ist Vorbereitung auf den nächsten Schottland-Urlaub (ich will ja meine Erkenntnisse auch mit der Realität versuchen abzugleichen!) Es ist kreativ. Und es macht nicht dümmer.
©MargareteMarie |
MM: Welche Schwierigkeiten stellen sich dir bei deiner Suche immer wieder in den Weg?
Auch hier kann ich nur wieder auf Gregors Antwort verweisen – wir scheinen die gleichen Erfahrungen zu machen… Aber wie Gregor schon sagte: unser größtes Problem ist die Zeit. Und ich würde hier nur noch einen weiteren Aspekt mit ins Spiel bringen wollen – nämlich den UNSERER ZEIT.
Da wir ja alle einer geregelten Tätigkeit nachgehen, die uns eigentlich auch vollumfänglich ausfüllt, bleibt halt nie genügend Zeit, um sich den schönen Geschichten aus der Vergangenheit zu widmen. Und manchmal stellt sich dann auch die Frage: will die denn überhaupt jemand hören?
Ansonsten sehe ich Schwierigkeiten zumeist nur bei mir selber. Wir wissen häufig so viel mehr als das, was bereits veröffentlicht oder bekannt ist. Schwierig ist es oft, die Fülle zu bändigen, die verschiedenen Fäden einer Geschichte zusammen zu halten, den historischen Kontext im Auge zu behalten, sich gedanklich in jene Zeit hineinzuversetzen…
Und über den Rand der Mash Tun unserer jeweiligen Destille hinauszudenken - denn ganz oft ist es so wie heute: unsere Protagonisten spielen nicht nur im aktuellen Stück ihre Rolle. Meist waren sie vorher schon anderswo oder später wiederum ganz woanders aktiv. Und bei reichlich 1.000 „Ghost Distilleries“ und inzwischen mehr als 500 Jahren Whisky-Geschichte ist es eben nicht immer einfach, den Überblick zu behalten.
MM: Ich wünsche dir, dass du trotz der vielen Recherche-Arbeit den Durchblick nie verlierst. Vielen Dank für dieses Interview.
Mehr zum Thema "Lost Distilleries" könnt ihr im Whisky-Botschafter 4-2019 lesen.
Und hier findet ihr Jens:
Altstadtkneipe No 2
Mühlstraße 2,
04509 Delitzsch
Bonnytown Distillery©MargareteMarie |
Ich freue mich, wenn irgendwann - eines Tages - bald ? - Euer aller Buch zum Thema erscheint ;-)
AntwortenLöschenDas ist ein hoher Berg, den wir da erklimmen wollen, Tom ;-). Derzeit bin ich noch im Trainingslager :-)
LöschenGenug trainiert ! ;-) Ihr dürft aber von Zeit zu Zeit überarbeitete Ausgaben nachschieben ! ......
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