"Ändern werde ich mich nie." Interview mit Jim Murray, Whisky-Autor

Jim Murray ist zweifelsfrei der bekannteste Whisky-Experte der Welt. Und wahrscheinlich auch der umstrittenste. Während seiner dreitägigen Deutschland-Tour in diesem Sommer hatte ich endlich die Gelegenheit, mich mit dem Autor der berühmt-berüchtigten "Whisky-Bibel" zu unterhalten.




MM: Jim, Sie sind einer der berühmtesten Whisky-Kritiker der Welt....

Jim: Einer der berühmtesten???

MM: Nun ja, Frauen tendieren immer zur Bescheidenheit. Also sind wir mal unbescheiden: Sie sind der berühmteste Whisky-Kritiker der Welt. Ist das ein Fluch oder ein Segen?

Jim: Es ist beides. Wissen Sie, als ich vor 27 Jahren damit anfing, gab es so etwas wie einen professionellen Whisky-Autor gar nicht. Ich war damals Journalist, und ich gab diesen Job auf, um der erste, professionelle Whisky-Autor der Welt zu werden. Niemand hatte das zuvor getan. Als ich anfing mich für Whisky zu interessieren, war ich gar nicht so sehr der Kritiker. Die ersten 15 Jahre habe ich Whisky nicht bewertet, sondern nur beschrieben. Ich hatte das Gefühl, dass ich kein Recht habe, Whisky zu kritisieren. 15 Jahre ist nichts, absolut nichts, wenn es um Whisky geht.

Es war einer der Blender bei J&B,  eine der ältesten Blending-Firmen in Schottland, der mich auf diesen Weg brachte und mir sagte, dass ich meine Tasting Notes veröffentlichen sollte. Er hat mir diesen Weg gezeigt. Es ist ein Segen, ja. Aber es ist natürlich auch ein Fluch. Ich kann die Probleme sehen, aber die Leute wollen das nicht immer hören. Ich verärgere natürlich die Hersteller, aber auch die Leute, die einen bestimmten Whisky mögen und nicht hören wollen, dass dieser Whisky einen Fehler hat. Die Kunden sind ja oft zu stark beeinflußt vom Marketing. Man erzählt ihnen immer wieder wie toll ein Whisky ist und die Leute können über ihren Tellerrand nicht hinausschauen und glauben das, was man ihnen immer wieder erzählt. Das ist eigentlich sehr schade. 

Ich habe mich vor vielen Jahren entschlossen, dass ich keine Seitenwege gehen werde. Wenn ich einen Fehler in einem bestimmten Whisky finde, dann sage ich das. Auch wenn ich mich unbeliebt mache, aber das ist mir egal. Wenn man Kritiker ist, muss man ehrlich sein. Und man muss auch sagen, warum der Whisky einen Fehler hat. Ändern werde ich mich nie.

Ich bin auch als Blender ausgebildet, und mein Urteil hält einer genauen Überprüfung stand. Die Produzenten können nicht einfach sagen: "Was weiß Jim Murray schon"? Es ist nicht immer einfach, denn ich kritisiere nicht gerne. Es ärgert mich immer, wenn ich es tun muss. Aber es ärgert mich auch, dass es nötig ist. Ich kritisiere nur, wenn der Whisky nicht gut ist. Aber warum ist er nicht gut? Whisky sollte nicht schlecht sein. Es sollte keinen schlechten Whisky geben.

MM: Es ist sicher nicht immer einfach, einen Whisky zu bewerten.

Jim: Wenn man einen Whisky macht, dann sollte dieser Whisky immer auch eine Balance haben. Aber es ist manchmal schwierig, diese Balance zu schmecken. Deshalb habe ich Ihnen vorhin auch gesagt, unbedingt den Kaugummi aus dem Mund zu nehmen. Ich wollte nicht unhöflich sein. Aber man sollte  vor dem Whisky-Trinken keinen Kaugummi kauen. Denn alles was man im Mund hat, wird dort Aromaspuren hinterlassen, die sehr lange haften bleiben. Und dann kann es schwierig sein, überhaupt zu merken, ob ein Whisky richtig ausbalanciert ist.

Ich habe jahrelang mit Kaugummi experimentiert, mit allen möglichen Sorten, um herauszufinden, wie Kaugummi unsere Geschmackswahrnehmung beeinträchtigt. Ich habe alle möglichen Arten von Experimenten gemacht. Ich esse vor Tastings nur langweilige Nahrung, mit keinen oder nur sehr wenig Gewürzen. Ich rauche nicht. Ich esse keinen Knoblauch. Wenn ich die Whisky-Bibel schreibe, esse ich nichts, was meinen Geschmackssinn beeinträchtigen könnte.

Wenn ich einen Whisky kritisiere, oder ihn als hervorragend einstufe, dann kann ich auch immer den Herstellern in die Augen schauen weil ich weiß, dass ich mein Urteil unter den bestmöglichen, professionellen Bedingungen gefällt habe. Parfüm oder Rasierwasser sind natürlich auch tabu.

MM: Gibt es einen Unterschied, ob man Whisky im Winter oder im Sommer verkostet?

Jim: Ja. Temperatur ist sehr wichtig. Das werde ich euch heute beim Tasting mit der  Murray-Methode zeigen. Haben Sie schon einmal ein Tasting mit der Murray-Methode gemacht?

MM: Nein, noch nie.

Dann werden Sie die Murray-Methode heute erleben. Ganz gleich, welchen Whisky ich verkoste, Bourbon, Scotch, Indischer Whisky - sie werden alle mit der gleichen Methode behandelt. Das Ziel ist, ein Maximum von Aromen aus dem Whisky herauszukitzeln. Und ich werde Ihnen heute abend zeigen, wie diese Methode funktioniert.


MM: Wir haben in den vergangenen Jahren viele Veränderungen gesehen, vor allem wenn es um die Quantität geht. Es gibt heute viel, viel mehr Abfüllungen als früher. Aber wie sieht es mit der Qualität aus. Ist die Qualität auch gestiegen?

Jim: Nein, absolut nicht. Und der Grund dafür ist, dass die Produzenten zu sehr damit beschäftigt sind, an ihrem Whisky herumzuwerkeln und auszuprobieren was sie als nächstes tun können, statt sich auf ihre Kernprodukte zu konzentrieren. Sie wollen möglichst viel verkaufen, und sagen: "Lass uns dies probieren... lass uns jenes mal machen..."

Ich habe meine erste Brennerei 1975 besucht. Damals hatte diese Brennerei nur einen einzigen Single Malt. Der Rest der Produktion war für die Blending Industrie bestimmt. Und das war damals eher ungewöhnlich. Denn die meisten Brennereien hatten gar keinen Single Malt im Angebot, sondern produzierten komplett für die Blending Industrie. Wenn die Brennereien damals Whisky gemacht haben, haben sie sich darauf konzentriert, was die Blender wollten. Beispielsweise einen 5 Jahre alten Whisky aus zweitbefüllten Bourbon-Fässern usw. Und für diesen Zweck haben sie einen perfekten Job gemacht.

Wenn man früher ein Finish probiert hat, und es hat nicht gut funktioniert, dann ist dieses Produkt in der Versenkung verschwunden, und man hat nie etwas davon gehört. Solche Fässer sind in irgendwelchen Blends untergegangen. Das Problem mit den unzähligen Finishes heutzutage ist, dass alles, was produziert wird, auch abgefüllt wird. Und viele dieser Finishes haben die Balance nicht gefunden, sie sind unrund, unharmonisch. Manchmal ist das Finish zu stark, manchmal ist es zu schwach. Früher hätte man solche Fässer nicht abgefüllt.

MM: Welche Zukunft hat deutscher Whisky? Hat er überhaupt eine Zukunft?

Jim: Ja, natürlich hat er eine Zukunft. Interessanterweise habt Ihr in Deutschland aber noch nicht das getan, was die Engländer, die Schweden, die Inder gemacht haben - ihr habt keine große Brennerei gegründet, wo ihr einen Whisky in gleichbleibender Qualität produzieren könnt. Es wird alles in sehr kleinem Maßstab gemacht, mit extremen Schwankungen von Fass zu Fass. Es gibt keine Beständigkeit, wie man sie in einer großen Brennerei erreichen kann.

Ich will nicht unbedingt sagen, dass große Brennereien besser sind, aber Beständigkeit ist ein wichtiges Kriterium. Wenn man Whisky macht, muss man wissen, was man tut. Andernfalls wird man nie wissen, was am Ende herauskommen wird. Die deutschen Brennereien sind stattdessen sehr damit beschäftigt, immer wieder etwas neues auszuprobieren. Das ist natürlich auch spannend.

MM: Vielleicht wird sich das in Zukunft ja ändern, wir haben inzwischen eine sehr große Whisky-Brennerei. 

Jim: Ja, aber das ist eine. Deutschland ist großes Land. Es braucht mehr als nur eine große Whisky-Brennerei, um Maßstäbe setzen zu können. Aber vielleicht wird die deutsche Whisky-Produktion ja dadurch einen Anstoß bekommen. Warten wir ab, wie es sich entwickeln wird.

MM: Jim, vielen Dank für dieses Interview.

(Mitschnitt vom 25.06.2019, gekürzte und übersetzte Version)

Wie versprochen haben wir dann im Tasting auch die berühmte Murray-Methode kennengelernt, mit der man Whisky wie ein Profi verkosten kann. Wie das funktioniert, erfahrt ihr in meinem nächsten Beitrag.

Hier ist der Link: "Wash your mouth": Whisky Tasting mit Jim Murray



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